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Schneeköniginnen

Schneeköniginnen

Titel: Schneeköniginnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Mischke
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wer Anne
wirklich war, konnte sie nicht widerstehen, Lis und ihrem Anhang eine halbwegs
ebenbürtige Eroberung zu präsentieren. Was dann komischerweise niemanden
sonderlich beeindruckt hatte. Na ja, Künstler, ein Völkchen für sich, die
hatten wenig Sinn für die facts of life.
    Trotzdem, Anne harmonierte ganz gut
mit diesem Haufen, bestimmt verkehrte sie daheim auch in einschlägigen Kreisen.
War es nicht die Symbiose aus Geld und Kunst, die die jeweilige »Szene« einer
Stadt ausmachte?
    Aber jetzt bekam der Spaß allmählich
Löcher. Was Katie vorhatte, dafür konnte sie eine wie Anne am allerwenigsten
gebrauchen. Sie mußte sie vielmehr schleunigst loswerden.
    Na warte, Anne, grollte Katie, dein
unvergeßliches New-York-Er-lebnis, das kannst du jetzt gleich haben. Ich wette,
am Flughafen wankst du mit schlotternden Knien zum nächsten Taxi und fährst
dahin zurück, wo du hingehörst.
    Katie verließ den Expressway in
Brooklyn. Schließlich hat man einem Besucher etwas zu bieten, dachte sie
boshaft. Den Anfang machten zivilisierte Wohnsiedlungen, sattes Vorgartengrün
vor weißen Veranden und ordentlich geparkten Mittelklassewagen. Doch dann ließ
die Gegend mehr und mehr nach. Sie passierten Bedford-Stuyvesant. Die Gegend
erinnerte an Fernsehbilder von irgendwelchen Kriegsschauplätzen. Zerstörte
Häuser, Bauruinen, Autowracks, Gitterzäune, wo es absolut nichts zu schützen gab.
Verdreckte schwarze Kinder hockten auf alten Autoreifen zwischen
Flaschenscherben und Schutt, den kein Mensch jemals wegräumte. Katie
betrachtete die Details der Apokalypse mit kühlem Interesse. Ein kaputter
Fernseher, ein ausgewaideter Autositz, räudige Katzen und menschliche
Gestalten, die im Müll stöberten und nach Blechdosen oder sonstwas suchten.
Armselige Dealer versuchten an jeder zweiten Ecke ihren Dreck loszuwerden. Zwei
blutjunge Latino-Prostituierte stritten sich in einem Hauseingang, mit den Fingernägeln
zerhackten sie sich die crackzerfressenen Gesichter und rissen sich an den
Haaren.
    Die Straßen waren in einem miesen
Zustand, der Toyota holperte von Loch zu Loch, grellbunte Hip-Hop-Chiffren in
unleserlichem Punk-Layout hielten die kariösen Häuserwände zusammen.
    Auf dem Flachdach eines verfallenen
Lagerhauses in East New York übten sich vier Halbwüchsige im Schießen mit
großkalibrigem Gerät. Dies war keine Stadt mehr, dies war nur noch der Kadaver
einer Stadt.
    Es hat sich kaum etwas verändert, realisierte
Katie. Sie hatte das auch nicht im Ernst erwartet. Harmlos grinste sie zu Anne
hinüber, während sie einem ausgebrannten Auto auswich, das wie ein umgekippter
Käfer mitten auf der Fahrbahn lag.
    Anne klemmte stumm auf ihrem Sitz und
kontrollierte zum dritten Mal die Sicherheitsknöpfe an den Türen. Sie starrte
aus dem Fenster, die Augen groß wie Spiegeleier.
    »Ist es nicht riskant, hier
herumzufahren?«
    »Schon möglich«, meinte Katie launig.
Genaugenommen war es schon ein bißchen irrsinnig. Anhalten war hier jedenfalls
nicht angeraten. »Was soll’s, das ganze Leben ist ein Risiko.«
    Anne ließ diese philosophische
Erkenntnis unwidersprochen. Schließlich hatte sie niemand gezwungen,
mitzukommen.
    Endlich beendete Katie ihre
Stadtrundfahrt, bog wieder auf den Expressway ein, und kurze Zeit später
erreichten sie den Flughafen. Katie bat Anne, im Auto zu warten und spurtete
davon, sie wäre glatt jede Wette eingegangen, bei der Rückkehr einen leeren
Wagen anzutreffen.
    »Was siehst du mich so komisch an?«
fragte Anne, als Katie wieder erschien.
    »Ach, nichts.« Katie verstaute einen
Sixpack Heineken und reichte Anne die Straßenkarte. Verdammt, die war zäher,
als sie gedacht hatte.
    »Geht’s mit deinem Auge?« fragte Anne
teilnahmsvoll. »Soll ich lieber fahren?«
    »Nein, was ich sehe, reicht mir. Aber
du könntest mal Gordons Sender suchen.« Sie feixte. »Damit du ein letztes Mal
seine sexy Stimme hörst.« Katie schaffte es selten, über längere Zeit schlecht
gelaunt zu sein, und dank des bewährten Mittels fühlte sie sich wieder fit wie
ein Turnschuh.
    »So wichtig ist das auch wieder
nicht«, brummte Anne und fingerte an der lausigen Stereoanlage herum, während
Katie den Wagen diskret mit zwei Kabeln startete, die irgendwo herumhingen.
    »Da! Das ist er«, rief Katie. Tatsächlich
hörte man Gordon, der gerade ein Interview mit einem Musiker führte, den
vermutlich ganze fünfzig Menschen in New York kannten. »Er ist gut, nicht?
Whow, diese Stimme, die ist total gothic!

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