Schneeköniginnen
Katie?
Schließlich hatte sie doch das Auto geklaut.
Apropos Katie. Die klemmte wortlos auf
ihrem Stuhl, mit einem Ausdruck, als säße sie vor dem Jüngsten Gericht. Sicher,
ein bißchen nervös wird wohl jeder, der von einem waschechten amerikanischen
Sheriff in die Mangel genommen wird, noch dazu von so einem ungehobelten
Exemplar. Aber Katie war mehr als nur aufgeregt. Ihr Teint hatte die Farbe
eines alten Putzlappens, und sie konnte kaum ihr Zittern verbergen. Sicher
wegen des geklauten Toyotas, schlußfolgerte Anne. Geschieht ihr ja irgendwie
recht, ist vielleicht sogar eine heilsame Lektion.
»Und weiter?« riß sie die rasierklingenscharfe
Stimme des Sheriffs aus ihren Betrachtungen.
»Wie?«
»Sie parkten. Und dann?«
»Dann... dann haben wir ein Auto
angehalten. Das mit diesem Mr. Zwolinks... Zwo...« Anne fühlte ihre Hände
klebrig werden. Nimm dich zusammen, Anne, Himmelherrgott! Wer weiß, wie lange
er uns sonst noch hierbehalten wird. Plötzlich waren sie da, all die Stories
über die Allmacht der amerikanischen Polizei. Hatte nicht neulich ein Deutscher
neun Monate im Gefängnis zugebracht, nur weil er im Flugzeug aufs Klo mußte und
sich falsch ausgedrückt hatte? Und was in den hiesigen Gefängnissen so los
war...
»Sie haben das Auto einfach
zurückgelassen?«
Anne versetzte Katie einen heimlichen
Tritt gegen das Schienbein, aber der Reaktion nach hätte sie ebensogut einen
Baumstumpf treten können. Nein, mit der war heute offensichtlich nicht zu
rechnen.
»Nein«, begann sie mit unsicherer
Stimme, »wir haben Freunde in New York angerufen, damit sie ihn dort abholen
lassen.« Bis jetzt schien er die Sache mit der Autopanne zu schlucken. Aber
vielleicht war das nur eine tückische Falle? Bestimmt hütete er bereits hämisch
die Diebstahlmeldung in seiner Schublade, wollte sich lediglich daran
aufgeilen, wie sie sich enger und enger in ihr eigenes Lügengespinst
verstrickte. Katie wußte das sicher längst, klar, die hatte Praxis im Umgang
mit der Polizei, deswegen war sie so klug und sagte gar nichts. Anne spürte,
wie ihre Wangen brannten. Die Äuglein des Sheriffs ruhten unerbittlich auf ihr.
Vielleicht wäre dies jetzt der Zeitpunkt für den tausendmal gehörten Satz:
>Ich sage kein Wort mehr ohne meinen Anwalt Aber welchen Anwalt? Sie
kannte hier doch keinen. Man würde ihr den nächstbesten miserablen
Pflichtverteidiger zuweisen, der sie garantiert noch tiefer in den Schlamassel
hineinritt, als sie jetzt schon drinsteckte. Außerdem, kam die Forderung nach
einem Anwalt nicht geradezu einem Schuldbekenntnis gleich? Anne war nahe dran,
ein umfassendes Geständnis abzulegen, nur um dieser Qual ein Ende zu bereiten,
da rückte der Sheriff von dem heiklen Thema ab. Er begann, ihr Verhältnis zu
Pete Zwolinsky auszuloten. Und obwohl er seinen Verhörton noch um einige Grade
verschärfte, wurde Anne allmählich ruhiger. Was diesen Pete anging, brauchte
sie Gott sei Dank nicht zu lügen. Das brachte ihr ein wenig ihre Fassung
zurück. Ihr Antworten kamen sicherer und klangen recht plausibel, wie sie fand.
Katie hörte überhaupt nicht zu, was
Anne dem Sheriff erklärte. Wozu die Farce, dachte sie verächtlich.
Wahrscheinlich will er nur herausfinden, ob Anne auch was damit zu tun hat.
Hoffentlich bekommt sie keinen Ärger. Auf mich warten wahrscheinlich draußen
schon die Jungs von der Bundesbehörde, oder dem FBI, oder dem
Rauschgiftdezernat, oder wer auch immer. Dieser Fettarsch läßt sich bloß
genüßlich Zeit, bis er die Katze aus dem Sack holt. Ein Sadist, dieser Kerl,
wahrscheinlich ist dieser Tag der Glanzpunkt seiner Karriere. Vermutlich träumt
er schon von seiner Beförderung. Wozu wird eigentlich ein Sheriff befördert?
Zum Obersheriff?
»Miss... Shannahan?«
Keine Reaktion. Anne schleuderte ihr
einen ärgerlichen Blick von der Seite zu. Warum antwortete sie nicht? Eben
hatte Anne ihre ärgste Aufregung überwunden, ja sogar das Gefühl gehabt, diesen
Sheriff einigermaßen überzeugen zu können, wo möglich verdarb Katies Bockigkeit
nun alles, und sie beide würden bis in alle Ewigkeit hier sitzen.
»Miss Shannahan! Würden Sie mir bitte
antworten!«
Der Sheriff beugte sich zu Katie über
den Tisch. Doch die schien völlig weggetreten zu sein. Schwieg verbohrt, wie
ein Maulesel. Oder doch nicht? Das, was Anne jetzt in ihrem Gesicht wahrnahm,
war keine Sturheit, auch keine Abwesenheit. Es war nackte Angst. Seltsam, die
war doch sonst so cool. Anne geriet erneut in Panik.
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