Schneeköniginnen
auf den Strich! Ich bin höchstens mal für mich selber
anschaffen gegangen, damit ich mir ‘ne Platte oder ‘nen neuen Fummel kaufen
konnte oder so, aber doch nicht für so ein Arschloch. Das hab ich ihm dann
unmißverständlich klargemacht.«
Katie verstummte kurzzeitig, aber Anne
wußte beim besten Willen nichts darauf zu sagen.
»Weißt du«, fuhr Katie erbarmungslos
fort, »Rudi ist ein echter Brutalo, und fies dazu. Der läßt sich nicht so
leicht abwimmeln. Zuerst sorgte er dafür, daß ich meinen Aushilfsjob im
Plattenladen loswurde. Ich konnte auch in keiner Kneipe mehr bedienen, alle
lehnten mich plötzlich ab. Als ich die Miete nicht mehr zahlen konnte, bin ich
zum Schein auf sein Angebot eingegangen, hab’ dem Erstbesten die Kohle gemopst
und bin abgehauen. Bis Frankfurt bin ich gekommen, dann haben mich irgendwelche
Freunde von Rudi geschnappt und zurückgebracht. Ich bezog jämmerliche Prügel,
eine von Rudis Nutten hat mich halbtot ins Krankenhaus geschafft. Rudi meinte,
das nächste Mal würde er mich so zurichten, daß mich nie mehr einer anschaut.«
»Katie, ist das alles wirklich wahr?«
Anne sträubten sich nachträglich die Haare, wenn sie daran dachte, wem sie da so
nichtsahnend eine Flasche über den Kopf gezogen hatte.
»Was denkst du? So was würde nicht mal
ich erfinden, das kannst du mir glauben.«
Anne glaubte ihr. Schon allein
deshalb, weil Katie diese Geschichte in einem so flapsigen Ton vortrug, als
berichte sie von einem verregneten Schulausflug.
»Ich bin also eine Weile für ihn
gelaufen und plante nebenbei die Flucht, diesmal aber sorgfältiger. Als ich
zufällig mitkriegte, daß er zwei Tage verreisen wollte, besorgte ich mir das
Ticket. Dann bin ich in seine Wohnung eingebrochen, hab alles durchwühlt, bis
ich meine Papiere, Paß und so, gefunden hatte. Die hat er mir nämlich
weggenommen. Dann bin ich ab zum Flughafen. Das Ende kennst du ja. Rudi muß
doch etwas früher als geplant zurückgekommen sein, und ohne deine Hilfe...«
»Woher hattest du das Geld für den
Flug?«
»Hin und wieder ein Freier, von dem
Rudi nichts wußte, den Rest hab’ ich geklaut. Ich habe geschickte Finger, das
hat mir die Kundschaft schon häufiger bestätigt.« Damit schloß Katie ihre
Erzählung. Es erschien ihr für die unbedarfte Anne genug, so für den Anfang.
Den Rest würde sie morgen sowieso erfahren.
Anne sagte noch immer nichts. In die
gespannte Stille hinein fragte Katie nach ein paar Minuten: »Wieso sprichst du
eigentlich so gut Englisch?«
»Ich hatte ein englisches
Kindermädchen.« Anne hörte Katie künstlich lachen. Sie konnte ihre hämische
Miene in der Dunkelheit erahnen, als Katie mit geschraubter Stimme wiederholte:
»Aber natürlich, das englische Kindermädchen! Daß ich darauf nicht gekommen
bin!« Gab es noch irgend etwas, wofür diese Geldsäcke kein Personal hatten?
»Ich kann auch nichts dafür«,
verteidigte sich Anne. Immerhin gab es Gründe, weshalb sie größtenteils von
Kinderfrauen und weniger von ihrer Mutter erzogen worden war. Aber das ging
Katie nichts an. Nicht nur die hatte ihre kleinen Geheimnisse.
»Tut mir leid«, lenkte Katie ein,
»aber es klang so komisch.«
»Es war auch manchmal komisch.«
»Deshalb klingst du also so britisch.
Wenn du dazu noch das >R< rollst, hörst du dich an wie Dr. Rrruth.«
»Wie wer?«
»Ruth Westheimer. Die uralte Sextante
aus dem Fernsehen.«
»Ach die. Du, das ist eine
Unverschämtheit!«
»Wieso? Die Frau verdient ein
Heidengeld. Aber jetzt sollten wir wohl versuchen zu schlafen.« Sie gähnte.
»Träum was Hübsches.«
Das war leicht gesagt. Anne lag mit
offenen Augen im Dunkeln. Unter sich hörte sie Katie im Schlaf murmeln und sich
unruhig herumwälzen. Ein eigenartiges Geschöpf. Anne hatte noch nie jemanden
kennengelernt, der sich mit Katie vergleichen ließ. Sie fand sie abstoßend und
faszinierend zugleich. Sie trank, log, spielte, klaute und tat unappetitliche
Dinge für Geld. »Abschaum« würde ihr Vater dazu sagen. Und was Anne da eben
gehört hatte — von Drogen, Nutten, Zuhältern und der Mafia — , es klang nicht
gerade beruhigend, selbst wenn nur die Hälfte davon stimmte. Doch obwohl dieses
Mädchen ganz offensichtlich auf dem rechten Wege ein paarmal links abgebogen
war, wirkte sie auf Anne so erfrischend lebendig wie kaum jemand. Sie schien
dabei nicht dumm zu sein. Katie hat etwas von einer Katze, dachte Anne, sie
fällt immer wieder auf die Beine. Wenn sie erst einmal aus diesem
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