Schneeköniginnen
Gefängnis
raus waren, würden sie bestimmt noch viel Spaß zusammen haben, bis sie in L. A.
waren.
Doch im Moment hielt sich der Spaß in
Grenzen. Anne fror, weil sie auf die Wolldecke angeekelt verzichtet hatte. Sie
wünschte sich, nur für diese Nacht, zurück nach New York, in diese luxuriöse,
warme Unterkunft, zu Lis, Teresa und Gordon, dem ganzen exaltierten Haufen von
Stadtneurotikern. Ach ja, sie und Gordon könnten jetzt schön essen gehen und
dann...
Moment mal. Und was ist mit Stefan?
Bin ich etwa auch nicht besser als er. Überhaupt, was werde ich tun, wenn ich
zurück bin? Nüchtern analysierte sie die Geschehnisse der letzten Woche mit der
räumlichen und geistigen Distanz, die sie inzwischen gewonnen hatte: So eine
große Sache ist es eigentlich auch nicht, wenn er mal ein Mädchen abschleppt,
besonders nach so langer Zeit des Alleinseins. Ein ähnlicher Sündenfall ist
immerhin sogar mir passiert, mit Gordon. Ich könnte Stefan ordentlich ins Gebet
nehmen und die Sache dann vergessen. Im Grunde war Stefan doch kein Weiberheld,
oder?
Schon begannen leise Zweifel zu nagen.
Wie war das, vor zwei Jahren, mit diesem französischen Au-pair-Mädchen gewesen?
Er hatte energisch abgestritten, daß da irgendwas war, und sie hatte ihm nur zu
gerne geglaubt. Au-pair-Mädchen hatten überdies die praktische Eigenschaft,
nach einer gewissen Zeit wieder in ihre Heimatländer zu verschwinden. Nicht so
ihre sogenannte Freundin Babsie. Aber für diese Affäre, falls es denn eine war,
gab es nicht den geringsten Beweis. Anne war nicht der Typ, der Taschen
durchwühlte oder Kon-trollbesuche machte. Was war schon dabei, Stefan flirtete
eben recht gerne. Was zählte, war doch, daß er immer wieder zu ihr
zurückkehrte. Bis jetzt jedenfalls.
Das Beste wäre, ihm großzügig die Hand
zur Versöhnung zu reichen, worauf sie beide ihr gewohntes Leben wiederaufnehmen
konnten, mit dem feinen Unterschied, daß sie eine gemeinsame Wohnung beziehen
und einen Ring am Finger tragen würden.
Das gewohnte Leben. Der Begriff
schwirrte ihr im Kopf herum wie ein Brummkreisel. Und zum ersten Mal,
ausgerechnet auf einer ausgelegenen Pritsche in einer stinkenden
Gefängniszelle, begann Anne, einige feste Größen in ihrem bisherigen Dasein in
Frage zu stellen.
Sheriff McGuire war ein beleibter,
rotgesichtiger Mann, dem schon am frühen Morgen die Schweißperlen auf der Nase
glänzten. Seine Ohren standen in exaktem Neunzig-Grad-Winkel von seinem
Quadratschädel ab, wie bei einer Kaffeetasse mit zwei Henkeln. Die gerunzelte
Stirn lag unter einem graublonden Haarkranz, dessen Strähnen sich wie
Sauerkraut um eine kahle Mitte kringelten.
Katie und Anne rutschten vor seinem
Schreibtisch, wo sich noch die Reste eines schnellen Frühstücks tummelten, auf
ihren harten Holzstühlen hin und her. Der Sheriff war in das Studium ihrer
Pässe vertieft, die er kraft seines Amtes aus ihren beschlagnahmten Handtaschen
entnommen hatte. Er räusperte sich umständlich und wandte sich dann an Anne:
»Soso, Miss Schwartz«, er sagte
»Schwots«, »aus Deutschland kommen Sie. Wie lange sind Sie schon hier?«
»Eine Woche.« Das konnte dieser
Trottel doch am Stempel der Einwanderungsbehörde erkennen.
»Seit wann kennen Sie Pete Zwolinsky?«
»Ich nehme an, das ist der Mann, mit
dem wir irrtümlich festgenommen wurden?«
»Natürlich ist das der Mann. Versuchen
Sie nicht, mich für dumm zu verkaufen«, kam es vom Sheriff unwirsch zurück.
Anne schluckte. Ihre bisherigen Erfahrungen mit der Polizei beschränkten sich
auf zwei Geschwindigkeitsübertretungen, die Strafen hatte sie nonchalant und
bar bezahlt, und auf einen harmlosen Auffahrunfall. Dabei hatte sie stets mit
höflichen bayrischen Verkehrspolizisten zu tun gehabt, die es sich und ihrer
Karriere nie angetan hätten, ihr irgendwie dumm zu kommen. Wahre Gentlemen, im
Vergleich zu diesem knorzigen, grantigen Walroß. Einschüchternd blitzte der
goldene Stern über den Schreibtisch.
Nun wollte das Walroß haargenau
wissen, wo und wie sie zu diesem Pete ins Auto gelangt waren. Anne würgte
tapfer hervor: »Wir... wir hatten eine Autopanne. Der Wagen, er... wurde
plötzlich heiß, ja genau. Er kochte, es war schrecklich. Deshalb steuerten wir
den Parkplatz an...« Anne wußte nicht weiter. Wie zu Schulzeiten, wenn, unter
dem eisigen Blick der Lehrerin, das sorgfältig auswendig gelernte Gedicht wie
aus dem Gedächtnis getilgt war. Verdammt, warum erklärte das denn nicht
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