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Schneeköniginnen

Schneeköniginnen

Titel: Schneeköniginnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Mischke
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War ihre Situation denn
wirklich so hoffnungslos?
    Egal, beschloß Anne mit dem
draufgängerischen Mut einer Verzweifelten, ich muß die Situation irgendwie
hinbiegen, sonst wird der gute Mann gleich wieder wütend. »Verzeihen Sie, Sir«,
wandte sie sich devot an ihren Befrager, »es hat keinen Sinn, sie anzusprechen.
Sie ist schwerhörig. Fast taub. Und ein bißchen geistig... na, Sie wissen
schon.« Anne vollführte eine scheibenwischerartige Geste.
    Katies Augen wanderten für
Sekundenbruchteile zu Anne, dann senkte sie wieder den Blick. Anscheinend war
sie bereit, mitzuspielen. Wenigstens würde sie dann keinen Blödsinn reden.
    »Schwerhörig?« Der Sheriff sah Katie
lauernd an. Die glotzte ihn an, die Augen so leer wie Glasmurmeln.
    »Ja. Seit ihrem vierten Lebensjahr. Ein
armes Ding. Sie ist nämlich eine... entfernte Cousine von mir. Es ist zwecklos,
sie etwas zu fragen. Sie ist völlig durcheinander, seit der Festnahme.«
    »Hm.« Der Sheriff rieb sich das
schlechtrasierte Kinn, schien einen Moment zu überlegen und fuhr dann zu Anne
gewandt fort: »Was wollten Sie denn in Washington?«
    »Die Stadt anschauen. Das Weiße Haus,
das Kapitol, den Supreme Court... Stellen Sie sich vor, Sir, dieses Kind«, sie
sagte wahrhaftig »Kind«, Katie konnte nur mühsam ein Grinsen unterdrücken, »ist
amerikanische Staatsbürgerin, wie Sie aus ihren Papieren entnehmen können, und
sie war noch nie in der Hauptstadt ihres Landes. Sie sollte doch wenigstens
einen flüchtigen Eindruck von der Bedeutung dieser Stadt, sozusagen der Wiege
der Demokratie, erhalten, finden Sie nicht, Sir?« Anne achtete peinlich auf das
»Sir«, denn es schien ihm zu schmeicheln.
    »Hm«, brummte der Sheriff wieder. »Ich
halte nicht viel von Washington. Ich bin aus Baltimore.«
    Mist, Mist, Mist! Mit Washington und
Baltimore mußte es sich wohl ähnlich verhalten, wie mit New York und Chicago.
    »Aber wo Sie schon Washington
erwähnen... Sagen Sie mal, Miss Schwots, was denken Sie denn über unseren neuen
Präsidenten, Bill Clinton?« fragte der Sheriff jetzt, ebenso überraschend wie
hinterhältig-
    Anne begriff das Spiel sofort. Sie war
bis zum Überdruß geschult in taktischer Gesprächsführung. Es ging um mehr als
um Smalltalk, es ging um ihre Weltanschauung. Das reinste Roulettespiel. Wenn
Sie jetzt bloß nicht auf die falsche Farbe setzte.
    Anne lächelte den Sheriff an und
taxierte ihn dabei mit Röntgenblicken. Nun war ihre Menschenkenntnis gefragt.
Gemessen am jüngsten Reinfall mit diesem Pete Zwoli-Dingsda, stand es damit im
Augenblick wohl nicht gerade zum besten. Doch andererseits hatte sie die Erfahrung
von fünf Jahren Personalabteilung auf dem Buckel. Jetzt würde man sehen, wozu
dieser Psycho-Ringelpietz taugte, welcher sich in sündteuren Kursen wie
»Menschenführung für Manager« oder »Schlüsselstrategien erfolgreichen Führens«
so großer Beliebtheit erfreute.
    Hinter ihrem Lächeln kombinierte Anne
angestrengt: Des Sheriffs listiges Grinsen, das seine kreisrunde Gesichtsfläche
überzog, das John-Wayne-Poster an der Wand, und was sie bisher von ihm gehört
hatte. Sie traf einen Entschluß.
    »Ich finde«, begann sie, blickte sich
verstohlen im Raum um, als könnte irgendwo ein ungebetener Horcher lauern, und
senkte dann verschwörerisch die Stimme, »ich finde, Clinton ist ein verdammter
Schwulenfreund, Sir.«
    Einen Moment blieb es still im Büro,
die Welt hielt für einige Sekunden den Atem an, man hätte eine Laus an den
Zimmerpflanzen knabbern hören. >Scotty, beam me up!< sandte Katie ein
stummes Stoßgebet ins All.
    Dann verformte sich das Gesicht des
Sheriffs zur Grimasse, und er fing an, dröhnend zu lachen.
    »Na, Sie sind mir aber eine!« polterte
er, als er sich von seinem Anfall erholt hatte. »Aber Sie haben recht«, knurrte
er halblaut, und zog die massige Stirn in geordnete Falten, »völlig recht, ja,
leider. Werden schon sehen, wo wir mit dem noch enden werden.«
    Anne holte tief Luft. Katie griente
mit scheinbar verständnisloser Miene. Sie schien sich in der Rolle der
unbedarften Idiotin schon relativ zu Hause zu fühlen.
    Der Sheriff stellte noch ein paar
dumme Fragen, um dem Eindruck, er wäre leicht beeinflußbar, entgegenzuwirken,
aber die Schlacht war entschieden, das wußte Anne. Schließlich händigte er
ihnen mit großer Geste ihre Handtaschen und ihre Papiere aus. Dabei fiel sein
Polizistenscharfblick auf Annes Führerschein, neben dem, in einem bordeauxroten
Lederetui mit Monogramm, ihr

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