Schneeköniginnen
Anne. »Das
weckt unangenehme Erinnerungen bei mir, und außerdem hat das keinerlei Stil.«
»Im Moment kann ich mir Stil nicht
leisten.«
»Paß auf, ich handle den Wagen
herunter, und in L. A. verkaufen wir ihn dann mit Gewinn. Es ist quasi ein
Kredit, den ich gewähre, einverstanden?«
»Naja... okay, wenn du meinst«, gab
sich Katie, überraschend schnell, geschlagen.
Anne winkte dem Händler. Er war klein
und dünn wie ein Jockey und ebenso zäh. »Er ist nur so billig, weil das Hardtop
nicht mehr vorhanden ist, ansonsten müßte ich ihn für das Doppelte verkaufen«,
erklärte er, Kaugummi kauend.
»Das ist sicher in den Wirren des
Vietnamkrieges verloren gegangen«, stichelte Anne.
»Ich bitte Sie, Ma’am, das ist ein
zweiundachtziger Baujahr!«
»Soso.« Anne mußte sich ordentlich ins
Zeug legen, um das obskure Objekt ihrer Begierde schließlich für
Zweitausendeinhundert zu bekommen.
Es war gegen Mittag, als sie ihre
Sachen aus Samuels Wohnung holten, ihm einen kurzen Brief hinterließen, und
endlich durch kilometerlange Vororte aus der Stadt hinausrollten.
»Es ist toll, man sitzt so hoch oben.«
Katie freute sich wie wild über die alte Kiste. »He, wir sind wieder unterwegs
— und das im eigenen Auto! Weißt du, ich hatte noch nie ein eigenes Auto. Genaugenommen
ist es ja deins, aber es ist trotzdem ein irres Gefühl.«
Anne saß am Steuer und lachte,
angesteckt von Katies guter Laune. Die Plane war unten, die Scheiben versenkt,
warmer Fahrtwind wirbelte ihnen um die Köpfe. Im Radio dudelte Fleetwood Mac.
»Sagen wir, es ist unseres.«
»Okay, unseres.« Katie strahlte und
zündete sich eine Zigarette an. »Der Wahnsinn, überall Tabak!«
»Herrliche Gegend«, nickte Anne. Bunte
Wälder, Getreidefelder, saubere Farmhäuser, weiße Zäune, grüne Tabakpflanzen,
aufgereiht wie Soldatenheere.
»Bist du früher noch nie hier
gewesen?« fragte Anne.
»Ich bin nie aus New York
rausgekommen. Doch, einmal, bei ‘ner Klassenfahrt, zu den Niagara-Fällen.«
»Wie kommt es, daß du mal hier und mal
in Deutschland gewohnt hast?«
»Das hat sich so ergeben. Meine Eltern
haben sich in München kennengelernt. Mein Vater kam direkt aus Irland, wegen
der Arbeit, die es dort nicht gab.« Katie zog an ihrer Zigarette. »Es ist die
übliche Story: Krach ums Geld. Meine Mutter wollte immer ein Häuschen mit Garten,
aber wir wohnten nur in ‘ner Dreizimmerwohnung mit Balkon, in Neuhausen. Dazu
kam noch ‘ne Weibergeschichte, dann die Scheidung. Meine Mutter hat sich das
sogenannte Sorgerecht für Jeff und mich erkämpft. Bloß um meinem Vater eins
auszuwischen, das schwöre ich dir, sie konnte uns Kinder in Wahrheit gar nicht
leiden. Wir waren nicht annähernd so niedlich geraten, wie sie erwartet hatte,
besonders ich.« Sie schnippte die Asche zum offenen Fenster hinaus. »Mein Vater
durfte uns laut Gericht regelmäßig abholen, aber sie hat das nach besten
Kräften erschwert. Dann ist Paps nach New York gegangen, weil da Verwandte von
ihm lebten. Ich wollte unbedingt mit, aber nichts da, von wegen Sorgerecht und
so... Also fing ich an, mich aufzuführen. Schuleschwänzen, klauen, rauchen,
mich prügeln, Sachen kaputtmachen, was eben gerade so anlag. Schließlich
landete ich in einem Heim für schwererziehbare Kinder. Da war es wesentlich
gemütlicher als zu Hause. Die Betreuer waren okay, wir durften sogar rausgehen.
War gar nicht so herb, wie man sich’s vorstellt.«
»Stimmt«, pflichtete Anne bei, »es
hört sich genauso an, wie meine Schule in Eaton.«
»Meine Mutter war froh, mich vom Hals
zu haben. Inzwischen hatte sie diesen Versicherungsheini am Haken. Das mit dem
Heim dauerte leider bloß zwei Monate, dann machten die vom Jugendamt meiner
Mutter klar, daß nicht der Staat, sondern sie selber für das Heim zu bezahlen
hatte. Wenn sie ihren Typen heiraten würde, dann müßte auch der für das Heim
blechen, und ob der sie unter solchen Umständen noch genommen hätte... Also
verzichtete sie endlich auf ihr Scheiß Sorgerecht und besorgte uns Tickets nach
New York. Meinen Bruder schickte sie auch mit, obwohl der ziemlich an ihr hing.
Wenn schon, dann gleich beide Gören loswerden. Ich war damals zwölf, oder so.
Mein Vater hat sich echt gefreut. Anfangs ging’s uns auch ganz gut. Wir wohnten
in einem von diesen winzigen Holzhäusern in Brooklyn, ich ging dort zur Junior
High. Bis Dad seinen Job verlor, tja... Aber sogar in der Sozialwohnung an der
Lower East Side fand ich es immer noch besser
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