Schneeköniginnen
und Anne kamen wie zwei Höhlentiere unter dem Tisch
herausgekrochen.
»War irgendwas?« fragte Katie unwirsch
in die belämmerten Gesichter. Sie schafften es beide irgendwie, ihr Zittern
unter Kontrolle zu bekommen.
Kurz nach diesem Zwischenfall mußten
sie wieder einmal auf die Interstate wechseln, weil sich die Risse im Asphalt
allmählich zu kleinen Cañons auswuchsen, und die Straße jeden Moment im Nichts
zu versanden drohte. Es war in Holbrook, einem weiteren dieser langweiligen
Orte, wo Anne ihren endgültigen Kulturschock verpaßt bekam: Da standen
Indianer-Teepees aus Beton. Sie gehörten zum »Wigwam Motel« und verfügten
angeblich über modernsten Komfort.
Ein paar Meilen weiter fanden sie die
alte Straße wieder und überquerten den Little Colorado auf einer Brücke, die in
bedrohlich verlottertem Zustand war. Danach gab es nur noch Felsen, Wildnis und
die Gluthitze eines Spätnachmittags in der pastellbraunen Prärie von Arizona.
Fehlt der einsame Cowboy, der in den
Sonnenuntergang reitet, dachte Anne mit leisem Spott. Das alles kam ihr
verdächtig bekannt vor. Schlußsequenz eines Breitband-Western: Einsamer Cowboy
(John Wayne) reitet auf müdem Pferd langsam von rechts nach links, dazu die
sehnsüchtig wimmernden Klänge einer Blues-Harp, Schnitt, Abspann.
In Flagstaff war dagegen die Hölle
los. Touristen bevölkerten die Straßen und die unzähligen Bars in hellen
Scharen. Der Grand Cañon ließ grüßen, das amerikanische Naturwunder
schlechthin.
Sie mußten in etlichen Motels nach
Zimmern fragen und kamen schließlich nur noch in einem zwielichtigen
Etablissement unter. Man verabredete sich in gut zwei Stunden zum Abendessen.
Während sich Anne eine ausgiebige Dusche
gönnte, ging Katie raus auf die Hauptstraße. Sie fragte einen Einheimischen
nach etwas Bestimmten, betrat dann einen Laden und verglich sorgfältig die
Waren und die Preise. Nach einer kleinen Fachsimpelei mit dem Inhaber zückte
sie Annes Visakarte und verließ das Geschäft mit einer großkalibrigen
Ausbeulung in ihrer Lederjacke.
Froh, diese längst fällige Besorgung
so diskret erledigt zu haben, kam Katie zurück in das spartanische Motelzimmer,
wo sie Anne in dumpfer Verzweiflung vorfand. Schon am Vorabend hätte Anne am
liebsten geheult, als sie ihr Gepäck nach sauberen Sachen absuchte. Alles wies
Spuren von angetrocknetem Schlamm auf, egal was sie anfaßte, es war durch und
durch versifft.
»Katie, schau dir diese Scheiße an!«
»Also, dein Wortschatz...«
»Das kommt vom Umgang.«
»Das macht doch nichts«, behauptete
Katie, auf die Klamotten deutend, »wir sehen eben aus wie richtige Tramper.
Aber wenn dich das so sehr stört, dann laß uns doch in einen Waschsalon gehen.«
»Waschsalon?«
»Ja. Mit Waschmaschinen, Trockner und
all den neuzeitlichen Geräten. Warst du noch nie in einem amerikanischen
Waschsalon?«
»Noch nicht einmal in einem
deutschen.«
Das hätte man sich denken können.
»Dann hast du was versäumt im Leben.
Los, komm mit.«
Sie fanden diese segensreiche Einrichtung
gleich zwei Ecken weiter. Ihre Jeans ließen sie an, schließlich war das kein
Werbespot. Katie weihte Anne in die Geheimnisse der Technik ein.
Einige Touristen hatten damit wohl
auch so ihre Probleme, ein deutsches Pärchen in Shorts beispielsweise. Sie
hatten im Verlauf ihrer Reise die rot-grünen McDonalds-Mützen gegen weiße mit
dem Aufdruck »Don’t mess with Texas« eingetauscht.
Katie zeigte sich von ihrer
Schokoladenseite und eilte ihnen zu Hilfe. Anne kamen die beiden bekannt vor, aber
derartige Déjà-vu-Erlebnisse waren bei ihr in letzter Zeit nichts Neues.
Seltsamerweise glaubte auch Katie, die beiden schon mal gesehen zu haben, doch
sie konnte sich beim besten Willen nicht mehr erinnern, wann und wo.
»Des isch aber sehr nett von Ihne«,
bedankte sich die Frau, als ihre Dessous in der Trommel Purzelbäume schlugen,
und fuhr redselig fort: »Die Amerikaner sind ja au sehr hilfsbereit, aber
manchmol verstehe mer se halt so schlecht, gell Schätzle?«
Schätzle nickte und faltete seine
Unterhosen mit teutonischer Akkuratesse.
»Bsonders hier im Weschten«, fuhr die
Blonde leutselig fort, »do ham se an fürchtige Dialekt.«
Katie und Anne stimmten dieser Klage
ohne Einschränkungen zu.
Nachdem die lieben Landsleute außer
Hörweite waren, lästerte Katie ungehemmt drauflos: »Da reden diese versnobten
Europäer immer vom kulturellen Vakuum in Amerika, dabei können sich diese
Weiber nicht mal
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