Schneeköniginnen
kann
dir jede Menge davon besorgen. Sogar von Ärzten. Aber das ist gar nicht nötig.
Du mußt dir nur euren Hustensaft mit genügend Alk reinziehen, und du hebst ab
wie eine Rakete.«
»Dafür ist er aber nicht gemacht«,
wehrte Anne ab, doch Katie unterbrach sofort: »Du wirst wohl nicht leugnen, daß
es ein paar tausend Leute, allein in Deutschland, gibt, die von diversen
Tabletten genauso süchtig und kaputt sind wie von Koks und Heroin. Nur daß der
Staat dabei noch mitverdient. Und du und dein Herr Papa.«
Anne bereute zutiefst, Katies Tasche
nicht ins Wasser geworfen zu haben. Dies war nun also der Dank dafür. Tapfer
verteidigte sie ihren Berufsstand: »Das ist doch absurd. Wenn einer
Strumpfhosen herstellt, wird ihn auch niemand dafür verantwortlich machen, wenn
ein Kerl damit Banken überfällt oder keimkehrende Sekretärinnen in Parks
erwürgt.«
»Bloß daß es mehr Tablettensüchtige
gibt als Strumpfhosenmörder«, erwiderte Katie trotzig.
»Diese Diskussion führt zu nichts«,
beendete Anne das unangenehme Gespräch. »Unsere Sachen sind trocken. Wir
sollten jetzt gehen, damit wir noch eine zivile Gegend erreichen, ehe es dunkel
wird. Ich habe wenig Lust, hier zu übernachten.« Sie stand auf und pflückte
ihre Dessous von den Büschen.
Katie grinste versöhnlich, da sie sich
als Siegerin fühlte. »Haben deine Kreditkarten die Sache gut überstanden?«
erkundigte sie sich teilnahmsvoll.
»Ja, haben sie.«
»Dann kann uns ja nichts mehr
passieren.«
Sie stapften drauflos, unter ihren
Schritten quatschte die aufgeweichte Erde. Gleich hinter der nächsten Biegung
sahen sie ihren Jeep, oder was davon übrig war. Die Plane hing in Fetzen, das
Blech war rundum verbeult, die Türen fehlten, sämtliche Scheinwerfer waren
zerschlagen, die Motorhaube stand offen und hatte einen beinahe rechtwinkligen
Knick. Überall hingen Schlamm und Dreck. Wortlos gingen sie weiter, die
Nachmittagssonne stand schon weit im Westen. Das veranlaßte sie, ihr Tempo zu
steigern, was jedoch keine leichte Sache war. Dornige Sträucher zerkratzten
ihre Beine, Legionen von blutrünstigen Insekten fielen über sie her.
Anne maulte ab und zu leise vor sich
hin: »...fliegt man fast in die Luft, dann ersäuft man um ein Haar, und das
alles wegen Madames Verfolgungswahn! Mafiosi, daß ich nicht lache...«
Katie hörte lieber erst gar nicht zu,
sie hatte genug mit sich und ihrer Konditionsschwäche zu tun.
Sie wagten es nicht, sich weit vom
Lauf des Baches zu entfernen, wo das Wasser bereits wieder sank. Nach über
einer Stunde strammen Fußmarsches erreichten sie die kleine Straße, von der aus
Katie diese unglückselige Abzweigung genommen hatte. Ihre müden Schatten wurden
schon bedenklich lang.
»Jetzt heißt es beten, daß noch
irgendwer vorbeikommt«, schnaufte Katie, definitiv am Ende ihrer Reserven.
»Übernimm du das«, antwortete Anne,
immer noch leicht eingeschnappt, »ihr Iren seid doch katholischer als ein
Weihrauchfaß.«
Sehr weit konnte es damit allerdings
bei Katie nicht her sein, denn anstelle eines Gebets hörte man sie fachmännisch
über ihre aufgeweichten Mokassins fluchen.
Erstmals an diesem Tag hatten sie
Glück. Ein angesoffener Farmer ließ sie auf der Ladefläche seines Pickups, zwischen
Farbeimern und Drahtrollen, Platz nehmen. Nach einigen wirren Abkürzungen —
zumindest unterstellte Anne, daß es welche waren — leuchtete ihnen das erste
66-Schild wie der Stern von Bethlehem entgegen.
Die Straße der Straßen führte sie
direkt nach Albuquerque, auf dem Strip begannen gerade die Lichter
aufzublinken. Die einfallslosen Zweckbauten der Fast-Food-Ketten, Bars und
Motels traten in den Hintergrund, ihre fantasievolle, ja fast schon kunstvolle
Neonreklame definierte sie neu. Jeder versuchte es noch größer, origineller,
greller. Ein kitschiger und doch irgendwie schöner Wettbewerb zuckender Formen
und Farben.
»Was wäre Amerika ohne Neonlichter?«
philosophierte Anne.
»Zappenduster.«
Diesmal gab es keinerlei Diskussionen,
sie checkten in dem Motel ein, neben dem der Fahrer stoppte.
Tags darauf frühstückten sie im »66
Diner«: Kaffee, Eier, Speck, Toast und Hashbrownes, dazu ließ Anne
klammheimlich eine Kopfschmerztablette in ihrem Mund verschwinden. Wegen des perfekt
nachgestellten Fünfziger-Jahre-Ambientes des »Diners« rechnete sie jeden Moment
ernsthaft damit, daß James Dean hereinspaziert käme, um ihr einen Milchshake zu
spendieren. Doch an diesem Morgen war er wohl
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