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Schneekuesse

Schneekuesse

Titel: Schneekuesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaby Hoffmann
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Sogar die leichten Sommersprossen auf der stupsförmigen Nase haben ihre ursprüngliche Farbe verloren und existieren nur als geisterhafte Umrisse. Ihre herzförmig geschwungenen Lippen sind weiß. Einzige Farbtupfer bilden die zu schmalen Strichen gezupften dunklen Augenbrauen über den schwarzen Wimpern. Ihr schmaler Oberkörper ist halb aufgerichtet, die nackten Beine liegen seitwärts angewinkelt auf einem dunklen Fliesenboden, so, als würden sie nicht dazugehören.
    Die Frau sieht verwahrlost aus. Pulli und Rock sind zerrissen und verdreckt. Etwas an ihrer Kleidung erscheint mir seltsam. Jetzt weiß ich, was: Der schwarze Rock ist an der Seite eine Schattierung dunkler gefärbt als der Grundton. Als ob über diese Fläche eine Flüssigkeit ausgelaufen wäre. Auch der Pulli hat wohl einige Spritzer abbekommen. Auf dem hellen Stoff zeichnen sich deutlich dunkle Flecken ab. Aus der verfärbten, eingerissenen Rocktasche blitzt ein metallener Gegenstand. Ein Küchenmesser! Und an dem Messer klebt die gleiche Flüssigkeit wie an Rock und Pulli.
    Die Frau bin ich! Beschmiert mit fremdem Blut, liege ich auf dem Fußboden meines eigenen Badezimmers.
    Ein schepperndes Geräusch lässt mich zusammenzucken. Ein Schlüssel wird im Schloss herumgedreht. Sanfter Knall. Die Tür! Dumpfes Tappen. Je näher sie kommen, umso energischer werden die Schritte.
    Ich halte die Luft an. Der dunkle Schleier senkt sich wieder über mich – nein, es gibt kein Vergessen. Ich kann nicht fliehen!
    Leise verfluche ich jenen Tag im Februar, an dem alles begann: Während eines einzigen Vormittags ging mir der gewichtigste Teil einer Erbschaft durch die Lappen, suchte mein Lover das Weite, und ich verlor meinen Job.
     
     
    Kapitel 1
     
    „So alt wird kein Schwein!“, sagte Großtante Carlotta wie jedes Jahr an ihrem Geburtstag. Zwei Tage später starb sie.
    Da Tante Carlotta in ihren 83 Lebensjahren sparsam, aber finanziell unabhängig gewirtschaftet hatte, warteten meine Schwester Sophie und ich gespannt darauf, was uns der Notar gleich aus ihrem Testament vorlesen würde.
    Ich schlug meine Jeansbeine übereinander und wippte mit den Stiefelspitzen, in denen sich mal wieder ein nicht zusammenpassendes Paar Socken verbarg.
    Sophie saß kerzengerade im eleganten, eierschalenfarbenen Kostüm neben mir. Die Beine, damenhaft züchtig in hautfarbenen Nylons verpackt, endeten in hellen Wildlederpumps, die wohlsortiert vor dem Sessel ruhten. Während sie scheinbar gelassen den Worten des Notars lauschte, wanderte ihr rechter Zeigefinger nervös in das rechte Nasenloch und popelte. Treffer! Versenkt! Als der Notar zum Wesentlichen kam, zog sie ihren Finger wie einen Ausreißer erschrocken heraus und verschränkte die Hände im Schoß.
    „Mein Vermögen in Form von Aktien und Investmentfonds sowie mein Haus samt Inventar hinterlasse ich der Tochter meines verstorbenen Neffen Manfred Burmeister und seiner verstorbenen Frau Helen, der lieben Sophie, die Helens dritte Tochter Vicky großzieht. Meine für mich wertvollsten Besitztümer aber vermache ich als Zeichen meiner Zuneigung Helens zweiter Tochter aus ihrer nichtehelichen Beziehung, der lieben Nina ...“
    Vor Aufregung drehte ich die Tempos in der Tasche meiner Lederjacke zu tausend kleinen Kügelchen.
    „Sie bekommt mein Auto und meinen Kater Oscar.“
    Die Taschentuchkügelchen kullerten auf den Boden, dem Notar vor die Füße.
    „Oh, Verzeihung!“ Ich bückte mich und hockte nun halb unter dem Schreibtisch. Im Rücken spürte ich die verächtlichen Blicke meiner älteren Schwester. Das Auto, mit dem Tante Carlotta so gerne hin- und hergegondelt war, hatte seine neun Jahre auf dem Buckel. Und der fette Kater ... Na ja, typisch: Sophie, die dank ihres fleißigen Mannes Thilo sowieso schon in einem repräsentativen Einfamilienhaus am Stadtrand lebte, wurde von Tag zu Tag wohlhabender. Mein Traum, meine kleine Schwester Vicky zu mir zu holen, rückte in weite Ferne.
    „Schön, dass du jetzt auch ein Auto hast!“ Gönnerhaft tätschelte Sophie meine Schulter, als wir die Kanzlei verließen. Zufriedenheit spiegelte sich auf ihrem Gesicht, das mit den großen blauen Augen, den pfirsichfarbenen Wangen und den strahlend weißen, wie zu einer Perlenschnur aufgereihten Zähnen hinter den dezent bordeauxrot geschminkten Lippen einer ihrer Schlafpuppen glich, die sie als Mädchen geliebt hatte.
    Normalerweise war meine Schwester eine Meisterin im Nörgeln. Keine Ahnung, wie mein wirklich

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