Schneemann
Mannes fortzuführen. Dabei blinkte eine Träne in seinen braunen Augen, und die Witwe legte ihm zitternd ihre Hand auf den Arm und bat ihn, er solle sie bitte persönlich über die Geschäfte auf dem Laufenden halten. Damit war Erik Lossius alleiniger Besitzer der Firma. Eine seiner ersten Amtshandlungen bestand darin, die Liste sämtlicher Kläger und Klagen in den Müll zu werfen, die Verträge umzuschreiben und Direktwerbung im reichen Westen der Stadt zu machen, wo man am häufigsten umzog und am meisten aufs Geld guckte.
Mit dreißig konnte sich Erik Lossius zwei BMWs, ein Ferienhaus nördlich von Cannes und eine Fünfhundert-Quadratmeter-Villa in Tveita leisten, einem Stadtviertel, in dem ihm die Wohnblöcke seiner Kindheit nicht den Blick auf die Sonne verstellten. Das alles bedeutete, dass er sich auch Camilla Sanden leisten konnte.
Camilla entstammte dem verarmten Konfektionsadel aus Blommenholm im Westen der Stadt, einem Milieu, das dem Arbeitersohn ebenso fremd war wie der französische Wein, der sich jetzt meterhoch in seinem Keller in Tveita stapelte. Doch als er damals als Junggeselle in sein großes neues Haus kam und sah, was noch alles eingerichtet und angeschafft werden musste, ging ihm auf, dass es etwas gab, was er noch nicht hatte und sich folglich noch beschaffen musste: Klasse, Stil, traditionelle Pracht und eine unangestrengte Überlegenheit, die durch Höflichkeit und Lächeln nur noch unterstrichen wurde. Und all das fand er in Camilla, die auf dem Balkon saß und über den Oslofjord blickte. Die Sonnenbrille, die sie dabei trug, hätte auch von einer Tankstelle stammen können, an ihr sah sie aus, als wäre sie von Gucci, Dolce & Gabbana oder wie diese ganzen Marken hießen.
Inzwischen wusste er, wie diese ganzen Marken hießen.
Er hatte damals die gesamte Habe der Familie - abzüglich ein paar Gemälde, die verkauft werden sollten - in ein kleineres Haus an einer weniger teuren Adresse transportiert und nie eine Verlustmeldung für den einen Gegenstand erhalten, den er aus ihrem Besitz entwendet hatte. Auch als Camilla Lossius im Brautkleid vor der Kirche in Tveita stand, mit den Wohnblocks als stummen Zeugen im Hintergrund, verrieten ihre Eltern mit keiner Miene, dass sie die Wahl ihrer Tochter missbilligten. Vielleicht, weil sie einsahen, dass sich Erik und Camilla in gewisser Weise ergänzten: Ihm fehlte der Stil und ihr das Geld.
Erik behandelte Camilla wie eine Prinzessin, und sie ließ ihn gewähren. Er gab ihr, was sie wollte, ließ sie im Schlafzimmer in Ruhe, wenn sie das wünschte, und verlangte nicht mehr, als dass sie hübsch aussah, wenn sie ausgingen oder sogenannte befreundete Pärchen zum Essen einluden - womit die Freunde aus seiner Kindheit gemeint waren. Sie fragte sich manchmal, ob er sie überhaupt liebte, und begann mit der Zeit eine richtige Aversion gegen diesen zielstrebigen, hart arbeitenden Arbeiterjungen zu entwickeln.
Erik war jedoch höchst zufrieden. Ihm war von Anfang an bewusst gewesen, dass Camilla kein warmherziger Mensch war, das war schließlich einer der Gründe gewesen, weshalb er sie in einer anderen Liga einordnete als die Mädchen, die er gewohnt war. Seine körperlichen Bedürfnisse konnte er bei seinen zahlreichen Kundinnen befriedigen. Erik war zu der Erkenntnis gelangt, dass Umzüge und Veränderungen die Menschen sentimental machten, aufgewühlt und offen für neue Erfahrungen. Auf jeden Fall vögelte er Singlefrauen, geschiedene Frauen, vergebene und verheiratete Frauen, wo auch immer sich inmitten des Umzugschaos die Gelegenheit dazu bot, und wenn die nackten Wände das Echo ihres Stöhnens zurückwarfen, überlegte er in Gedanken, was er Camilla als Nächstes schenken sollte.
Das Genialste aber war, dass es sich bei seinen Bekanntschaften logischerweise um Frauen handelte, die er nie wiedersehen würde. Sie zogen ja fort und waren verschwunden. Alle. Bis auf eine.
Birte Olsen war dunkel, süß und hatte einen Penthouse-Körper.
Sie war jünger als er, und ihre helle Stimme und ihre Art zu reden ließen sie noch jünger wirken. Sie war im zweiten Monat schwanger und wollte in die Stadt ziehen. Aus seiner eigenen Nachbarschaft in Tveita in den Hoffsveien, um dort mit dem Vater des Kindes zusammenzuziehen, einem Typ aus dem Westen der Stadt, den sie heiraten wollte. Mit diesem Umzug konnte Erik Lossius sich identifizieren. Und - so wusste er, nachdem er sie auf einem einfachen Holzstuhl in der ausgeräumten Wohnung genommen hatte
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