Schneemann
Dachterrasse neben dem Pool. Ich baue immer die königliche Familie nach. Dann kann ich im Frühling zusehen, wie das ganze unzeitgemäße Trüppchen einfach schmilzt und verschwindet.”
Zum ersten Mal an diesem Abend erntete Støp weder Lacher noch Applaus. Oda fand, er hätte eigentlich wissen müssen, dass man das Publikum mit solchen plump antiroyalistischen Kommentaren nie auf seine Seite ziehen konnte.
Bosse füllte die drückende Stille mit der Ankündigung einer Popsängerin, die erst kürzlich auf der Bühne zusammengebrochen war und die Sendung gleich mit einem Hit beschließen würde, der erst ab Montag als Singleauskopplung im Radio zu hören sein würde.
“Verdammt noch mal, was war das denn?”, wollte Gubbe wissen, der Produzent, der sich hinter Oda gestellt hatte. “Vielleicht ist er doch nicht ganz nüchtern”, meinte Oda. “Aber mein Gott, das ist doch ein Bulle! “, rief Gubbe.
Im gleichen Moment kam Oda in den Sinn, dass sie für diesen Gast verantwortlich war. Für diesen Volltreffer. “Ein echter Knaller, dieser Kerl”
Der Produzent antwortete nicht.
Während die junge Sänger in von ihren angeborenen psychischen Problemen erzählte, sah Oda auf die Uhr. Vierzig Sekunden. Das wurde zu ernst für einen Freitagabend. Dreiundvierzig. Bosse unterbrach nach sechsundvierzig: “Und was ist mit Ihnen, Arve?” Bosse ging am Ende der Sendung bei seinem Hauptgast immer zum Vornamen über. “Haben Sie irgendwelche Erfahrungen mit psychischen Krankheiten oder anderen erblich bedingten Leiden?”
Støp lächelte: “Nein, Bosse, damit kann ich nicht dienen. Es sei denn, man sieht eine Krankheit in meiner Abhängigkeit von totaler Freiheit. Das ist wirklich eine der Schwächen unserer Familie.”
Bosse war zur Schlussrunde gekommen, jetzt musste er nur noch einmal alle anderen Gäste einbeziehen, dann konnte er den abschließenden Song ankündigen. Ein paar letzte Worte der Psychologin über das Spielen. Und dann:
“Tja, und jetzt, da der Schneemann nicht mehr unter uns weilt, haben doch sicher auch Sie ein bisschen Zeit zum Spielen, stimmt’s, Harry?”
“Nein”, erwiderte Harry. Er war so weit auf seinem Stuhl nach unten gesackt, dass seine langen Beine beinahe bis zu der Sängerin reichten, die ihm gegenübersaß. “Der Schneemann ist noch nicht gefasst.”
Bosse zog lächelnd eine Augenbraue hoch und wartete auf eine Fortsetzung, eine Pointe. Oda hoffte inständigst, dass sie besser war als der Anfang.
“Ich habe nie behauptet, dass Idar Vetlesen der Schneemann ist”, fuhr Harry Hole fort. “Im Gegenteil, es deutet alles darauf hin, dass der Schneemann noch immer auf freiem Fuß ist.” Glucksendes Lachen von Bosse. Mit diesem Lachen versuchte er immer die missglückten Witze seiner Gäste zu überspielen. “Ich hoffe, dass Sie Witze machen”, sagte Bosse schelmisch, “sonst kann meine Frau nicht mehr ruhig schlafen.”
“Nein”, entgegnete Harry. “Ich mache keine Witze.”
Oda sah auf die Uhr und wusste, dass der Aufnahmeleiter mittlerweile hinter der Kamera auf und ab sprang und ihm mit der Hand symbolisch die Kehle durchschnitt, um Bosse zu zeigen, dass er überzog und jetzt gesungen werden musste, wenn man vor dem Abspann mehr hören wollte als die ersten Takte. Aber Bosse war wirklich der Beste. Er wusste, dass das hier wichtiger war als alle Singles der Welt. Deshalb ignorierte er den Taktstock und lehnte sich vor, um jedem Zweifler deutlich zu machen, worum es hier ging. Um einen Knaller nämlich. Eine sensationelle Offenbarung. Und das hier, in seinem Programm. Das Beben in seiner Stimme klang beinahe echt:
“Wollen Sie damit sagen, die Polizei hat gelogen, Hole? Der Schneemann ist also noch da draußen und kann jederzeit wieder zuschlagen? “
“Nein “, erklärte Harry, “wir haben nicht gelogen. Es haben sich nur ein paar völlig neue Sachverhalte ergeben.”
Bosse drehte sich wieder zum Publikum herum, und Oda glaubte, den Aufnahmeleiter “Kamera 1 !” schreien zu hören. Dann sah sie Bosses Gesicht in Großaufnahme: “Ich denke, über diese Sachverhalte werden wir gleich in den Nachrichten noch mehr erfahren. Ich danke Ihnen für den spannenden Abend.”
Oda schloss die Augen, während die Band zu spielen begann. “Großer Gott”, hörte sie den Produzenten hinter sich flüstern.
Und noch einmal: “Großer, gütiger Gott!” Oda hätte am liebsten einfach losgeheult vor lauter Freude. Willkommen auf dem Nordpol, dachte sie. Wir sind nicht
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