Schneemann
geklappt. Arve Støp hatte geglänzt und Bosse sich bestens amüsiert. Støp hatte verkündet, er verstehe sich selbst als Elite, weil er eben die Elite sei. Dass man sich aber nicht an ihn erinnern würde, wenn er sich nicht auch ein paar ordentliche Schnitzer leistete.
“Bei allen großen Geschichten geht es nie um den großen, langfristigen Erfolg, sondern immer um spektakuläre Niederlagen”, dozierte Støp. “Obwohl Roald Amundsen das Rennen um den Südpol gewonnen hat, erinnert sich die Welt außerhalb Norwegens vornehmlich an Robert Scott. An Napoleons gewonnene Schlachten erinnert man sich nicht so gut wie an die Niederlage in Waterloo. Der ganze Nationalstolz Serbiens beruht auf einer Schlacht gegen die Türken bei Kosovo Polje imJahr 1389, eine Schlacht, wohlgemerkt, die die Serben mit Pauken und Trompeten verloren haben. Und denken Sie nur an Jesus! Das Symbol eines Mannes, der angeblich über dem Tod steht, sollte doch wohl der Mann sein, der mit geöffneten Armen außerhalb seines Grabes steht. Stattdessen hat die christliche Welt seit jeher die große Niederlage vorgezogen, den Augenblick, in dem er am Kreuz hängt und beinahe aufgegeben hätte. Weil uns eben die Geschichten der Verlierer mehr rühren als andere.”
“Sie haben also vor, es wie Jesus zu machen?”
“Nein”, antwortete Støp, sah zu Boden und lächelte, als das Publikum lachte. “Ich bin ein Feigling. Ich strebe nach dem Erfolg, der irgendwann in Vergessenheit gerät.”
Statt seine berüchtigte Arroganz an den Tag zu legen, hatte sich Støp überraschend sympathisch gegeben, wenn nicht sogar demütig. Bosse fragte ihn, ob er als eingeschworener Junggeselle sich nicht manchmal eine feste Partnerin an seiner Seite wünschte. Als Støp diese Frage mit ja beantwortete und hinzufügte, er habe nur noch nicht die Richtige gefunden, wusste Oda, dass er nun einen Sturm von Briefen erwarten durfte. Das Publikum applaudierte warm und lange. Dann kündigte Bosse dramatisch den “einsamen Wolf” an, der immer auf der Jagd sei - Hauptkommissar Harry Hole von der Osloer Polizei. Als die Kamera daraufhin für einen Moment über Støp huschte, glaubte Oda, so etwas wie Überraschung auf seinem Gesicht lesen zu können.
Bosse hatte die Antwort auf seine Frage nach einer festen Beziehung sichtlich gefallen, denn er versuchte, den Gedanken wieder aufzugreifen, indem er auch Harry, der, wie er wusste, ebenfalls Single war, fragte, ob er sich nicht nach einer Frau sehne? Harry grinste nur schief und schüttelte den Kopf. Aber Bosse wollte nicht so schnell aufgeben und fragte ihn, ob er vielleicht auf eine ganz Spezielle warte?
“Nein”, erwiderte Harry kurz angebunden.
Für gewöhnlich spornten Bosse derart wortkarge Antworten bloß zu weiteren Fragen an, aber er wusste, dass er es sich mit seinem Highlight des Abends nicht verderben durfte. Der Schneemann. Also bat er Harry nun, kurz über den Fall zu berichten, über den das ganze Land sprach, den ersten wirklichen Serienmörder Norwegens. Harry nickte kurz und begann zu erzählen. Er rutschte auf dem Stuhl herum, als ob er zu klein für seinen großen Körper sei, während er mit kurzen, abgehackten Sätzen zusammenfasste, was geschehen war. Dass über die letzten Jahre immer wieder Menschen verschwunden waren, die auffällige Gemeinsamkeiten aufwiesen: Es waren ausnahmslos Frauen, die mit ihren Partnern zusammenwohnten, Kinder hatten und nie wieder aufgetaucht waren. Nicht einmal einen Leichnam habe man je gefunden.
Bosse setzte sein ernstes Gesicht auf, um zu verdeutlichen, dass sie sich jetzt in die scherzfreie Zone begaben.
“In diesem Jahr verschwand Birte Becker unter vergleichbaren Umständen aus ihrem Haus in Oslo-Hoff”, erklärte Harry. “Und kurz darauf wurde Sylvia Ottersen ermordet in Sollihogda unweit von Oslo aufgefunden. Das war das erste Mal, dass wir eine Leiche gefunden haben. Jedenfalls Teile davon.”
“Ja, Sie haben den Kopf gefunden, stimmt’s?”, ergänzte Bosse.
Ausreichend informativ für die Uneingeweihten und drastisch genug für die Eingeweihten. Er war dermaßen professionell, dass Oda ein wohliger Schauer über den Rücken lief.
“Und dann haben wir in der Nähe von Bergen die Leiche eines verschwundenen Polizisten entdeckt”, fuhr Harry unbeeindruckt fort, “der seit zwölf Jahren vermisst wurde.”
“Eisen-Rafto”, nickte Bosse.
“Gert Rafto”, korrigierte Harry. “Und vor ein paar Tagen haben wir die Leiche von Idar Vetlesen auf
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