Schneemann
Bygdoy gefunden. Andere Leichname haben wir nicht.”
” Was war für Sie das Schlimmste an diesem Fall?” Oda hörte die Ungeduld in Bosses Stimme, vermutlich da Harry weder auf das Stichwort mit dem gefundenen Kopf eingegangen war noch die Morde so lebendig dargestellt hatte, wie sie alle gehofft hatten.
“Dass so viele Jahre vergangen sind, bis wir begriffen haben, dass es einen Zusammenhang zwischen all diesen Vermisstenfällen gibt.”
Wieder so eine langweilige Antwort. Der Aufnahmeleiter signalisierte Bosse, dass er langsam an den Übergang zum nächsten Thema denken musste.
Bosse legte die Fingerkuppen aneinander. “Und jetzt ist der Fall also aufgeklärt. Und Sie sind plötzlich wieder ein Held, Harry. Wie fühlt sich das an? Bekommen Sie Fanpost?” Das entwaffnende, jungenhafte Lächeln. Damit hatten sie die scherzfreie Zone wieder verlassen.
Der Hauptkommissar nickte langsam und befeuchtete sich noch immer vollkonzentriert die Lippen, als läge ihm die Formulierung der Antwort besonders am Herzen: “Tja, ich habe schon Anfang Herbst welche bekommen. Aber darüber kann uns Støp sicher mehr sagen.”
Nahaufnahme von Støp, der Harry milde ansah. Dann folgten zwei stille, lange Fernsehsekunden. Oda biss sich auf die Unterlippe. Was meinte Harry damit? Schließlich meldete sich Bosse und erklärte:
“Ja, Støp bekommt natürlich reichlich Fanpost. Und Groupies wird er sicher auch haben. Wie ist das bei Ihnen, Herr Hole, haben Sie auch Groupies? Gibt es eigentlich so etwas wie Polizeigroupies?”
Das Publikum lachte vorsichtig. Harry Hole schüttelte den Kopf.
“Kommen Sie schon”, triezte Bosse. “Ist es denn noch nie vorgekommen, dass Sie von einer Polizeianwärterin um Nachhilfe in Leibesvisitation gebeten wurden?”
Der Saal lachte jetzt richtig. Herzlich. Bosse grinste zufrieden. Harry Hole lächelte nicht einmal, sondern blickte stattdessen etwas resigniert zur Tür. Für den Bruchteil einer Sekunde fürchtete Oda, er könnte aufstehen und einfach den Raum verlassen. Stattdessen wandte er sich an Støp, der neben ihm saß:
“Herr Støp, was machen Sie, wenn Sie in Trondheim nach einem Vortrag von einer Frau angesprochen werden, die behauptet, nur eine Brust zu haben, aber Sex mit Ihnen will. Bitten Sie sie zur Nachhilfe ins Hotelzimmer ?”
Das Publikum verstummte schlagartig, und sogar Bosse sah perplexaus.
Nur Arve Støp schien sich bestens über die Frage zu amüsieren. “Nein, ganz sicher nicht. Nicht, weil es mit einer Brust keinen Spaß machen würde, sondern weil die Hotelbetten in Trondheim zu schmal sind.”
Das Publikum lachte, aber kraftlos, als wäre es bloß froh darüber, dass es nicht noch peinlicher wurde. Die Psychologin wurde hereingebeten.
Sie sprachen über die Spiele der Erwachsenen, und Oda bemerkte, dass Bosse das Gespräch um Harry Hole herummanövrierte. Wahrscheinlich dachte er, dass der widerspenstige Polizist nicht seinen besten Tag hatte und er ihn besser in Ruhe ließ. Auf diese Art bekam Arve Støp, der offensichtlich einen guten Tag hatte, umso mehr Redezeit.
” Was mögen Sie denn für Spiele, Herr Støp?”, fragte Bosse mit unschuldigem Gesichtsausdruck, der seinen ganz und gar nicht unschuldigen Hintergedanken nur unterstrich. Oda freute sich, denn diese Frage stammte aus ihrer Feder.
Doch noch ehe Støp antworten konnte, hatte sich Harry Hole zu Støp vorgebeugt und laut und deutlich gefragt: “Bauen Sie Schneemänner, Støp?”
Das war der Moment gewesen, in dem Oda begriff, dass etwas nicht stimmte. Holes herausfordernder, wütender Tonfall, seine aggressive Körpersprache. Støp zog überrascht eine Augenbraue hoch, während sein Gesicht zusammenschrumpfte und verkrampfte. Bosse hielt inne. Oda wusste nicht, was vor sich ging, zählte aber vier Sekunden Schweigen - eine Ewigkeit für eine Livesendung. Dann erkannte sie jedoch, dass Bosse sehr genau wusste, was er tat. Denn auch wenn er es als seine Pflicht betrachtete, auf einen höflichen Umgangston zwischen seinen Gästen zu achten, wusste er natürlich, dass es in erster Linie auf die Unterhaltung ankam. Und es gibt keine bessere Unterhaltung als Menschen, die wütend werden und die Kontrolle verlieren, die weinen, zusammenbrechen oder anderweitig vor einem Riesenpublikum live ihre Gefühle offenlegen. Deshalb ließ er die Zügel schießen und sah Støp bloß an.
“Natürlich baue ich Schneemänner”, bestätigte Støp, als die vier Sekunden verstrichen waren. “Auf meiner
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