Schneemann
das seine Kinder sind. Im Gegenteil. Irgendjemand hält diese Kinder für die seinen. Wie Filip Becker glaubte, Jonas sei sein Sohn. Und … ” Harry wies mit einer Kopfbewegung zum Wohnhaus.
“Rolf Ottersen ?”, flüsterte Katrine. “Die Zwillinge? Meinst du, dass … ” Sie hob die Plastiktütchen an. ” … das hier das Genmaterial von Arve Støpist?”
“Schon möglich.”
Katrine sah ihn an. “Und die verschwundenen Frauen, … die anderen Kinder … “
“Sollte der DNA-Test zeigen, dass Støp der Vater von Jonas und den Zwillingen ist, werden wir am Montag auch die Kinder der anderen verschwundenen Frauen untersuchen.”
“Du meinst, … Arve Støp hat sich durch ganz Norwegen gefickt, diverse Frauen geschwängert und sie dann umgebracht, nachdem sie seine Brut auf die Welt gebracht hatten?”
Harry zuckte mit den Schultern.
“Warum denn?”, fragte sie.
“Wenn ich recht habe, haben wir es hier natürlich mit einer Form von Geisteskrankheit zu tun, und dann ist das alles sowieso nur Spekulation. Hinter dem Wahnsinn steckt oft eine ziemlich klare Logik. Hast du schon mal von den Seehunden in der Beringstraße gehört?”
Katrine schüttelte den Kopf.
“Wir reden hier über einen Vater, der ein eiskalter, rationaler Mörder ist”, erklärte Harry. “Wenn das Seehundweibchen die Jungen zur Welt gebracht hat und diese die erste kritische Phase überstanden haben, versucht der Vater, die Mutter zu töten. Weil er weiß, dass sie sich nie wieder mit ihm paaren wird. Er will verhindern, dass sie noch andere Junge auf die Welt bringt, die seinen eigenen Nachkommen Konkurrenz machen.”
Katrine schien ihm nicht ganz folgen zu können.
“Das ist allerdings Wahnsinn”, bestätigte sie. “Aber ich weiß nicht, was verrückter ist - wie ein Seehund zu denken oder sich vorzustellen, dass jemand wie ein Seehund denkt.”
“Wie gesagt.” Es knirschte hörbar in Harrys Knien, als er aufstand. “Nur eine vage Theorie.”
“Du lügst”, widersprach sie und sah zu ihm auf. “Du bist dir doch schon sicher, dass Arve Støp der Vater ist.” Harry verzog den Mund zu einem schiefen Grinsen. “Du bist genauso verrückt wie ich “, stellte sie fest.
Harry sah sie lange an. “Komm. In der Gerichtsmedizin warten sie schon auf deine Wattestäbchen.”
“An einem Samstag?” Katrine fuhr mit der Hand über das Sägemehl, unterstrich, was sie gezeichnet hatte, und stand auf. “Haben die kein Privatleben?”
Nachdem sie die Tüten in der Gerichtsmedizin abgeliefert hatten und man ihnen versprochen hatte, dass sie die Antwort bis zum Abend, spätestens zum folgenden Morgen bekommen würden, fuhr Harry Katrine nach Hause in die Seilduksgate.
“Alles dunkel bei dir”, stellte Harry fest. “Allein?”
“Ein hübsches Mädchen wie ich … “, konterte sie lächelnd und fasste nach dem Türgriff, ” … ist nie allein.”
“Hm. Warum wolltest du eigentlich nicht, dass ich deinen Kollegen in Bergen sage, dass du da bist?”
“Was?”
“Die hätten es doch sicher toll gefunden, dass du jetzt an so einem Riesenmordfall in der Hauptstadt arbeitest.”
Sie zuckte mit den Schultern und öffnete die Tür. “Bergener sehen in Oslo keine Hauptstadt. Gute Nacht.”
“Gute Nacht.”
Er war sich nicht sicher, glaubte aber bemerkt zu haben, dass Katrine bei seiner letzten Frage erstarrt war. Aber wann konnte man sich schon sicher sein? Wenn schon ein Klicken nicht mehr vom Hahn eines Revolvers kam, sondern von einem trockenen Zweig, den ein kleines Mädchen aus blankem Entsetzen durchbricht. Trotzdem, er konnte dieses Spiel nicht mehr lange so mitmachen. Er konnte nicht so tun, als hätte er es nicht bemerkt. Katrine hatte ihren Dienstrevolver an jenem Abend auf den Rücken von Filip Becker gerichtet. Und als Harry ihr in die Schusslinie getreten war, hatte er ein Geräusch gehört, und zwar genau das Geräusch, das er zu hören glaubte, als Salma einen Zweig im Hinterhof zerbrach. Das geölte Klicken eines Revolverhahns, der sich wieder senkte. Was nur bedeuten konnte, dass er zuvor gespannt gewesen sein musste. Katrine hatte den Abzug also schon bis zum Anschlag gedrückt, der Schuss hätte sich jeden Augenblick lösen können. Sie hatte tatsächlich vorgehabt, Becker zu erschießen.
Nein, er konnte nicht mehr so tun als ob. Weil das Licht im Scheunentor auf ihr Gesicht gefallen war. In diesem Moment hatte er sie wiedererkannt und ihr die passende Antwort gegeben: Das alles hatte mit
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