Schneemann
drehte den Zündschlüssel und ließ den Motor aufheulen, ehe er sich noch einmal dem Alten zuwandte. “Und Sie warten hier gefälligst so lange.”
Sie konnten seinen entgeisterten Gesichtsausdruck noch im Rückspiegel erkennen, als sie davonfuhren.
Katrine lachte laut. “Du bist grausam! Das war ein alter Mann!” Harry sah sie von der Seite an. Sie hatte einen merkwürdigen Gesichtsausdruck, als täte ihr das Lachen weh. Paradoxerweise schien sie durch die Vorfälle in der Fenris-Bar ein entspannteres Verhältnis zu ihm bekommen zu haben. Vielleicht war es eine Eigenheit von hübschen Frauen, jemanden stärker zu respektieren, der sie trotz ihres Äußeren hatte abblitzen lassen, und ihm mehr Vertrauen zu schenken als den anderen.
Harry lächelte. Nur gut, dass sie nicht wusste, dass Harry am Morgen mit einer Erektion aufgewacht war und sich noch an einen Traum erinnerte, in dem er sie im Klo der Fenris-Bar genommen hatte, während sie auf dem Waschbecken saß und etwas aufschrieb. Er war derart hart in sie eingedrungen, dass die Rohre knackten, das Wasser in den Klosetts schwappte und das Licht flackerte, während er bei jedem Stoß das kalte Porzellan an seinen Eiern spürte. Der Spiegel hinter ihr vibrierte, so dass die Konturen seines Gesichts verschwammen, während Hüfte auf Hüfte prallte und ihr Rücken gegen Wasserhahn, Fön und Seifenbehälter gepresst wurde. Erst danach war ihm bewusst geworden, dass das Gesicht im Spiegel gar nicht seines, sondern das eines anderen gewesen war.
“Woran denkst du?”, fragte sie.
“An Fortpflanzung”, antwortete Harry. ” Tatsächlich?”
Harry reichte ihr ein Päckchen. Sie öffnete es. Obenauf lag ein Zettel mit der Aufschrift: Gebrauchsanweisung für den Abstrich aus der Mundhöhle (DNA-Test).
“Irgendwie geht es um Vaterschaft”, verkündete Harry. “Ich weiß nur noch nicht, wie und warum.”
“Und wohin fahren wir gerade?”, wollte Katrine wissen und nahm ein kleines Kästchen mit Wattestäbchen heraus.
“Nach Sollihogda “, erwiderte Harry. “Um Zellproben von den Zwillingen zu holen.”
Auf den Feldern rund um den Hof war der Schnee auf dem Rückzug. Nass und grau klebte er auf den Teilen der Landschaft, die noch in seinem Besitz waren.
Rolf Ottersen empfing sie auf der Treppe und bot ihnen einen Kaffee an. Während sie sich die dicken Jacken auszogen, unterrichtete ihn Harry über den Grund ihres Kommens. Rolf Ottersen fragte nicht weiter nach, sondern nickte nur.
Die Zwillinge saßen im Wohnzimmer und strickten. “Was wird das?”, fragte Katrine.
“Ein Schal”, antworteten sie im Chor. ” Das hat uns unsere Tante beigebracht. “
Sie nickten Ane Pedersen zu, die strickend im Schaukelstuhl saß und Katrine freundlich grüßte.
“Ich brauche nur ein bisschen Spucke und Schleim von euch”, erklärte Katrine fröhlich und streckte ein Wattestäbchen in die Höhe. “Mund auf.”
Kichernd legten die Zwillinge das Strickzeug weg ..
Harry ging zu Rolf Ottersen in die Küche, der gerade einen großen Topf aufgesetzt hatte. Es roch nach Kaffee.
“Dann haben Sie sich also geirrt mit diesem Arzt?”, erkundigte sich Ottersen.
“Vielleicht”, gab Harry zu. “Es ist aber trotzdem möglich, dass er etwas mit der Sache zu tun hat. Ist es in Ordnung, wenn ich noch einmal einen Blick in die Scheune werfe?”
Rolf Ottersen machte eine einladende Geste mit der Hand. “Aber Ane hat aufgeräumt”, fügte er hinzu. “Da gibt’s nicht mehr viel zu sehen.”
Es war wirklich aufgeräumt. Harry erinnerte sich an die dicke Schicht Hühnerblut, die dunkel auf dem Boden geklebt hatte, als Holm seine Proben nahm, doch jetzt war der Boden geschrubbt. Wo das Blut eingezogen war, waren die Dielen leicht rosa. Harry stellte sich an den Hauklotz und sah zur Tür. Versuchte sich vorzustellen, wie Sylvia Ottersen dort gestanden und geschlachtet hatte, als der Schneemann hereinkam. Hatte er sie überrascht? Sie hatte zwei Hühner geschlachtet. Nein, drei. Warum dachte er, es wären zwei gewesen? Zwei plus eins. Warum plus eins? Er schloss die Augen.
Zwei der Hühner hatten neben dem Hauklotz gelegen, ihr Blut war in das Sägemehl gesickert. So schlachtete man Hühner. Das dritte hingegen hatte etwas abseits auf dem Boden gelegen und die
Dielen versaut. Amateurmäßig. Und das Blut auf der Schnittfläche des dritten Huhns war verklumpt gewesen, genau wie an Sylvias Kopf. Er erinnerte sich an Bjorn Holms Erklärung. Und er wusste, dass ihm der
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