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Schneemann

Schneemann

Titel: Schneemann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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Sie unterschied sich von jeder anderen Leiche, die er bisher gesehen hatte - sie war kreideweiß und irgendwie aufgedunsen.
    “Kommen Sie mit”, befahl Harry den bei den Männern der Einsatztruppe, ehe er sich Skarre zuwandte: “Du bleibst hier und sicherst die Wohnung. Ruf die Spurensicherung oben in Tryvann an und gib ihnen Bescheid, dass hier schon der nächste Job auf sie wartet.”
    “Und was machst du?” “Tanzen”, sagte Harry.
    Als die Schritte der drei Männer auf der Treppe verhallt waren, wurde es still in der Wohnung. Wenige Sekunden später konnte Skarre hören, wie ein Wagen gestartet wurde und dann mit quietschenden Reifen über die Vogtsgata davonraste.
    Rhythmisch glitt das blaue Licht über die Straße. Harry saß auf dem Beifahrersitz, hielt sich das Handy ans Ohr und lauschte dem Freizeichen. Am Spiegel hingen zwei bikinitragende Püppchen, die zum verzweifelten Klagelied der Sirene tanzten, während der Streifenwagen im Slalom zwischen den Autos auf dem Ring 3 hindurchkurvte.
    Bitte, flehte Harry innerlich, bitte geh ran, Rakel.
    Er starrte auf die metallenen Tänzerinnen unter dem Spiegel und fühlte sich in diesem Moment wie eine von ihnen: Er tanzte willenlos nach der Pfeife eines anderen, wie die komische Figur einer Farce, die immer zwei Schritte hinterherhinkt, immer etwas zu spät durch irgendwelche Türen platzt und vom Gelächter des Publikums empfangen wird.
    Harry konnte sich nicht mehr beherrschen. “Verdammt! Verdammte Scheiße! “, brüllte er und pfefferte das Handy gegen die Windschutzscheibe. Es rutschte vom Armaturenbrett und fiel auf die Schwelle der Tür. Der Beamte hinterm Steuer tauschte über den Rückspiegel einen Blick mit seinem Kollegen.
    “Machen Sie die Sirene aus”, kommandierte Harry. Es wurde still.
    Da wurde Harry auf ein Geräusch aufmerksam, das von unten kam.
    Er riss das Telefon an sich.
    “Hallo? “, rief er. “Hallo, Rakel? Bist du zu Hause?” “Natürlich, du hast doch die Festnetznummer angerufen.” Es war ihre Stimme. Weich und ruhig, belustigt. “Stimmt was nicht? “
    “Ist Oleg auch zu Hause?”
    “Ja”, erwiderte sie. “Er sitzt hier in der Küche und isst gerade. Wir warten auf Mathias. Was ist denn los, Harry?” “Hör mir jetzt genau zu, Rakel. Hörst du?”
    “Du machst mir Angst, Harry, was ist denn los?” “Mach die Kette vor die Tür.”
    “Warum das denn? Es ist abgeschlossen und … “
    “Mach die Kette vor, Rakel!”, brüllte Harry. “Okay, okay!”
    Sie sagte etwas zu Oleg, dann hörte er das Scharren von Stuhlbeinen über den Boden, gefolgt von Schritten. Als sich ihre Stimme wieder meldete, klang sie etwas zittrig.
    “Aber jetzt erzählst du mir bitte, was los ist, Harry.”
    “Ja, mache ich, aber erst musst du mir versprechen, dass du Mathias unter keinen Umständen ins Haus lässt.”
    “Mathias? Bist du betrunken, Harry? Du hast kein Recht, so zu … “
    “Mathias ist gefährlich, Rakel. Ich sitze in einem Polizeiwagen zusammen mit zwei anderen Beamten und wir sind gerade auf dem Weg zu dir. Den Rest erklär ich dir später, aber jetzt geh ans Fenster und schau nach draußen. Siehst du was?”
    Er merkte, dass sie zögerte. Aber er sagte nichts mehr, wartete bloß, denn er war plötzlich ganz sicher, dass sie ihm vertraute, ihm glaubte, und dass sie das immer getan hatte.
    Sie fuhren gerade auf den Nydalentunnel zu. Am Rand türmte sich der Schnee wie grauweiße Wolle. Dann war ihre Stimme wieder da.
    “Ich sehe nichts. Aber im Grunde weiß ich ja auch nicht, wonach ich Ausschau halten soll.”
    “Dann siehst du also keinen Schneemann?”, vergewisserte sich Harry leise.
    Ihrem Schweigen entnahm er, dass ihr langsam die ganze Wahrheit dämmerte.
    “Sag, dass das nicht wahr ist, Harry”, flüsterte sie. “Sag, dass das nur ein böser Traum ist.”
    Er schloss die Augen und fragte sich, ob sie recht haben konnte.
    Sah Birte Becker vor sich im Sessel. Bestimmt war es nur ein böser Traum.
    “Ich hab deine Uhr in den Nistkasten gelegt”, erklärte er.
    “Da war sie aber nicht drin, die … “, begann sie, hielt inne und stöhnte auf: “Oh, mein Gott!”

KAPITEL 35
    21. Tag. Monster
    Von der Küche aus konnte Rakel alle drei Richtungen überblicken, aus denen man sich dem Haus nähern konnte. Hinter dem Haus befand sich eine fast senkrechte Böschung, über die man nicht hinabklettern konnte, schon gar nicht bei diesem Neuschnee. Sie ging von Fenster zu Fenster. Sah hinaus und überprüfte,

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