Schneemann
draußen.
Als Idar und Harry auf den Flur kamen, drehte Harry sich noch einmal um. “Was meinten Sie eigentlich mit >gesegnet” “Entschuldigung? “
“Sie haben dieses Wort in Zusammenhang mit Mathias Lund Helgesen benutzt.”
“Ach das, ja. Das habe ich nur wegen dieser Frau gesagt, die er sich da angelacht hat. Mathias ist in diesen Dingen sonst ziemlich unbeholfen. Aber die scheint ein paar schlechte Erfahrungen gemacht zu haben, so dass sie wohl so einen gutmütigen Kerl wie ihn brauchte. Aber sagen Sie Mathias nicht, dass ich das gesagt habe. Obwohl … Sagen Sie’s ihm ruhig.”
“Noch eine Frage. Können Sie mir sagen, was Anti-SeL-70 bedeutet?”
“Das ist ein Antistoff im Blut. Kann auf Sklerodermie hindeuten. Kennen Sie jemanden, der das hat?”
“Ich weiß ja nicht einmal, was Sklerodermie ist.” Harry wusste, dass er nicht darüber nachdenken sollte. Unbedingt. Aber er konnte nicht anders: “Hat Mathias gesagt, diese Frau hätte schlechte Erfahrungen gemacht?”
“Meine Deutung. Der gesegnete Mathias redet nie schlecht über Menschen. In seinen Augen haben Menschen bloß Verbesserungspotential.” Idar Vetlesens Lachen hallte in den dunklen Räumen wider.
Als Harry seine Boots wieder angezogen, sich verabschiedet hatte und draußen auf der Treppe stand, drehte er sich noch einmal um, und sah, bevor die Tür ins Schloss fiel, dass Idar in die Hocke gegangen war, um seine Schuhe zu binden.
Auf dem Rückweg rief Harry Skarre an, bat ihn, die Bilder von Vetlesen von dessen Webseite auszudrucken, damit zur Drogenfahndung zu gehen und zu überprüfen, ob ihn einer der Fahnder kannte oder vielleicht beim Speed-Kaufen beobachtet hatte.
“Auf der Straße?”, fragte Skarre. “Haben Ärzte so was nicht in ihren Schränken?”
“Schon, aber die müssen den Verbleib dieser Drogen inzwischen ganz genau dokumentieren. Deshalb holen sie sich ihr Amphetamin auch lieber bei einem Dealer auf der Skippergata.”
Sie legten auf, und Harry rief Katrine im Büro an.
“Vorläufig nichts”, berichtete sie. “Ich mach hier jetzt den Abflug. Bist du auch auf dem Weg nach Hause?”
” Ja.” Harry zögerte. “Wie schätzt du die Chancen für eine gerichtliche Verfügung ein, die Vetlesen von seiner Schweigepflicht entbindet? “
“Bei dem bisschen, was wir haben? Ich kann mir natürlich einen superkurzen Rock anziehen, zum Gericht gehen und mir einen Richter im passenden Alter suchen. Aber mal ehrlich, ich glaube, das können wir vergessen.”
“Das sehe ich auch so.”
Auf dem Weg nach Bislett dachte Harry an seine leere, demontierte Wohnung und sah auf die Uhr. Dann machte er kehrt und fuhr über die Pilestredet in Richtung Präsidium.
Es war zwei Uhr nachts, als Harry Katrine wieder am Telefon hatte. Dieses Mal klang sie reichlich verschlafen.
“Was ist denn los? “, fragte sie.
“Ich bin im Büro und hab mir mal angesehen, was du zusammengetragen hast. Du hast gesagt, alle vermissten Frauen hätten Mann und Kinder gehabt. Ich glaube, das könnte irgendein Zusammenhang sein.”
” Wie das denn?”
“Keine Ahnung. Ich musste das nur mal aussprechen. Ich wollte das selbst hören, um festzustellen, ob das idiotisch klingt.”
“Und, wie klingt es?” “Idiotisch. Gute Nacht.”
Eli Kvale lag mit weit geöffneten Augen da. Neben sich hörte sie Andreas schwer und unbekümmert atmen. Ein Streifen Mondlicht fiel durch die Gardine an die Wand und auf das Kruzifix, das sie auf ihrer Hochzeitsreise nach Rom gekauft hatten. Wovon war sie geweckt worden? Konnte es Trygve gewesen sein? War er auf? Das Essen und der ganze Abend waren genauso verlaufen, wie sie gehofft hatte. Im Licht der Kerzen blickte sie in fröhliche Gesichter, die nicht aufhören konnten zu erzählen. Vor allem Trygve. Sie hörte ganz still zu, als er von Montana berichtete, von seinem Studium, von seinen Freunden. Sah ihren Jungen nur an, beobachtete ihn. Ein junger Mann, der langsam erwachsen wurde, sein Leben selbst in die Hand nahm und eigene Entscheidungen traf. Darüber freute sie sich am meisten: Er konnte wählen. Frei und unbeeinflusst. Nicht wie sie. Nicht im Verborgenen, in aller Heimlichkeit.
Sie hörte das Haus knirschen, die Wände sprachen miteinander. Aber da war noch ein anderes Geräusch, ein fremdes Geräusch.
Es kam von draußen.
Sie stand auf, trat ans Fenster und blickte durch die Gardinen.
Es hatte geschneit. Die Zweige der Apfelbäume waren weiß überzuckert, und das Mondlicht
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