Schneemann
noch im Besitz der Familie ist?”
Katrine zögerte. “In den Berichten stand etwas von einer kleinen Hütte in der Sommerhaussiedlung der Polizei auf Finnoy, das liegt in der Gemeinde Fedje. Diese Hütten werden ja vererbt, es kann also gut sein, dass da noch was ist. Ich hab die Telefonnummer von Raftos Frau, ich kann ja mal anrufen.”
“Ich dachte, sie würde nicht mehr mit der Polizei reden?” Katrine zwinkerte ihm zu.
An der Rezeption bekam Harry einen Schirm geliehen, der in den Windböen umklappte, noch ehe er den Fischmarkt erreicht hatte. Er sah aus wie eine verkrüppelte Fledermaus, als er durch den Regen rennend am Eingang des Polizeipräsidiums Bergen ankam.
Während Harry unten am Empfang stand und auf Kriminaloberkommissar Knut Müller-Nilsen wartete, rief Katrine an und teilte ihm mit, dass die Familie noch immer die Hütte auf Finnoy hatte.
“Aber die Frau war seit dieser Geschichte nicht mehr dort, und ihre Tochter wohl auch nicht.”
“Wir fahren da hin”, entschied Harry. “Ich sehe zu, dass ich hier um eins fertig bin.”
“Okay, dann besorge ich ein Boot. Treffen wir uns auf der Zachariasbrücke? “
Knut Müller-Nilsen war ein gutmütiger Teddy mit lächelnden Augen und Händen, so groß wie Tennisschläger. Die Papierstapel auf seinem Schreibtisch waren so hoch, dass er richtiggehend eingeschneit aussah. Er hatte die Hände hinter den Kopf gelegt und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück.
“Rafto, ja”, erinnerte sich Müller-Nilsen. Zu Anfang hatte er Harry erklärt, es regne in Bergen gar nicht so viel, wie landläufig angenommen wurde.
“Es hat den Anschein, als würden hier öfter Polizisten verschwinden”, meinte Harry und fingerte an Raftos Foto herum, das er aus der Akte auf seinem Schoß genommen hatte. Er hatte im letzten freien Eckchen auf einem Holzstuhl Platz genommen.
“Wieso?” Müller-Nilsen sah ihn fragend an. “Bjarne Moller”, sagte Harry.
“Ach ja, genau”, nickte Müller-Nilsen, aber der unsichere Klang seiner Stimme verriet ihn.
“Der ist oben am Floyen auf der Vidda verschwunden!”, fügte Harry hinzu.
“Stimmt ja!” Müller-Nilsen schlug sich mit der Hand gegen die Stirn. “Tragische Sache. Er war damals ja erst so kurz hier, ich habe ihn gar nicht kennengelernt … Man ging davon aus, dass er sich verlaufen hat, stimmt’s?”
“Genau”, bestätigte Harry, sah aus dem Fenster und dachte an Bjarne Mollers Weg vom Idealismus zur Korruption. An seine guten Absichten. Die tragischen Fehler. Von denen die anderen nie etwas erfahren würden. “Was können Sie mir über Gert Rafto sagen?”
Mein Doppelgänger im Geiste in Bergen, dachte Harry, nachdem er Müller-Nilsens Beschreibung gehört hatte: ungesundes Verhältnis zum Alkohol, schwieriges Temperament, einsamer Wolf, unzuverlässig, zweifelhafte Moral und schlechter Umgang.
“Dabei hatte er ausgezeichnete analytische und intuitive Fähigkeiten”, sagte Müller-Nilsen. “Und einen starken Willen. Es schien fast so, als würde er von irgendetwas getrieben, … etwas, ich weiß nicht, wie ich das ausdrücken soll. Rafto war ein Extremist. Ja, aber das versteht sich bei den Geschehnissen ja von selbst.”
” Was waren das für Geschehnisse?”, fragte Harry und erspähte einen Aschenbecher zwischen den Papierstapeln.
“Rafto war gewalttätig. Und wir wissen, dass er vor dem Mord an Onny Hetland in ihrer Wohnung war und dass Hetland möglicherweise Informationen über den Mord an Laila Aasen gehabt hatte. Außerdem verschwand er ja direkt danach. Es ist nicht ganz unwahrscheinlich, dass er ins Wasser gegangen ist. Wir sahen damals jedenfalls keinen wirklichen Anlass, große Ermittlungen zu starten.”
“Er könnte doch auch ins Ausland geflüchtet sein, oder?” Müller-Nilsen schüttelte lächelnd den Kopf.
“Warum nicht?”
“Was das angeht, hatten wir den Vorteil, den Verdächtigen sehr gut zu kennen. Auch wenn es ihm theoretisch sicher möglich gewesen wäre, Bergen zu verlassen. Aber er war ganz einfach nicht der Typ dafür.”
“Und keiner seiner Verwandten oder Freunde hat ihn je wiedergesehen?”
Müller-Nilsen schüttelte den Kopf. “Seine Eltern leben nicht mehr, und so viele Freunde hatte Rafto nicht. Die Beziehung zu seiner Exfrau war so schlecht, dass er sich bei ihr sicher nicht gemeldet hätte.”
“Und was ist mit der Tochter?”
“Zu ihr hatte er guten Kontakt. Ein schlaues, hübsches Mädchen. Sie hat sich doch noch gut rausgemacht, wenn man
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