Schneemond (German Edition)
Veränderung, die diese tiefe und bedingungslose Liebe, die ihn mit Maria verband, um ihn herum hervorrief. Er hörte nicht den Gesang, den Theresa angestimmt hatte und der sich so nahtlos in das Pulsieren ihrer Verbundenheit flocht.
Alles war gut.
Die Wunden, die ihm das Leben geschlagen hatte und die er für unheilbar gehalten hatte, schlossen sich unter der wärmenden Güte ihrer Umarmung. Bilder seines Lebens trieben durch seinen Geist. Er dachte voller Zärtlichkeit an Sara, seine Frau, die ihm viel zu früh genommen worden war. Und doch erkannte er den unermesslichen Reichtum, den er aus ihrem gemeinsamen Leben zog. Er dachte an Eva, seine Tochter, die er nicht lange genug hatte aufwachsen sehen. Und doch spürte er die goldenen Spuren, die ihr kurzes Leben in seiner Seele hinterlassen hatte.
Alles war gut. Und nichts anderes, außer Maria, war jetzt wichtig.
Er hatte die Mitte seines Lebens gefunden. Der Punkt an dem sich alles andere ausrichtete. Das Feuer, das seine Schatten erhellte. In der Liebe zu dieser wundervollen Frau fand er auch die Liebe zu allen anderen Wesen. Und plötzlich wurde ihm klar, dass allein diese Liebe die alles bestimmende Kraft in seinem Leben – nein, im Leben Aller – war.
Und er erkannte, dass er das schon immer gewusst hatte. Langsam, behutsam, löste er sich ein Stück weit aus Maria’s Armen, nahm ihr Gesicht zärtlich in die Hände und sah in ihre Augen, die ihm tief wie das Meer erschienen.
»Meine Blume«, hauchte er leise, um die unendliche Zartheit dieses Augenblicks nicht zu zerstören.
Sie lächelte sanft und streichelte seine Wange, bevor sich ihre Lippen in einem innigen Kuss fanden. Die Höhle um sie herum zerfloss in der endlosen Weite einer opalblauen Dämmerung. Doch Lukas und Maria merkten nichts davon.
Einzig Theresa sah, fühlte, spürte und schmeckte diese Veränderung mit allen ihren Sinnen und begann zu hoffen. Noch nie, so lange ihre Erinnerungen und die ihrer Ahnen zurückreichte, hatte sie die Kraft, die von den beiden Liebenden ausging
so
gespürt. Die Welle, die aus der Mitte des Kreises herausflutete, raubte ihr schier den Atem.
War es möglich, dass Gott einen Teil seines strahlenden Glanzes durchdiese beiden Menschen in die Welt fließen ließ? War es möglich, dass er seiner Dienerin in ihrer dunkelsten Stunde ein Stück Hoffnung schenkte?
Ich habe Euch nie verlassen!
Theresa schloss die tränenblinden Augen und ging auf in ihrem Lied, dass schon vor so vielen tausend Jahren geboren worden war. Und dann spürte sie ihre Gefährtinnen, spürte die Leere, dort wo sie hätten sein sollen, wie einen Phantomschmerz. Wurde sich plötzlich bewusst, dass sie alleine war; seit so langer Zeit, das erste Mal
wirklich
allein.
Und Bilder erschienen ihr aus der Zeit, als sie noch das Mädchen Sar gewesen war. Und sie sah die Gesichter all derer, die sie auf ihrem langen Weg hinter sich gelassen hatte. Nor-ga, den Häuptling ihrer Sippe, Bran, den Mann, mit dem sie ihre erste Tochter gezeugt hatte und der in hohem Alter, in ihren damals immer noch jungendlichen Armen, eingeschlafen war. Und noch viele, viele Namen kamen ihr in den Sinn.
So lange hatte sie ausgeharrt, so lange schon. Und nun war sie hier. Die Letzte des Bundes und allein. Und plötzlich schlich sich die Angst in Theresas Herz und verdüsterte ihre Gedanken. Der Dunkle würde kommen. Und sie musste ihm alleine entgegentreten. Der Kreis war zerbrochen und der Bund zerschlagen. Was sollte nun werden?
Mit aller Macht drängte Theresa ihre Angst und ihre Zweifel zurück und besann sich auf die Kraft, die ihr immer noch innewohnte. Und doch blieb ein letzter, kleiner Rest dieser Angst in ihrem Herzen haften und wartete geduldig darauf, bis er neue Nahrung erhielt.
Was sollte nun werden?
Der Dunkle bewegt sich langsam vorwärts. Es gab nur wenige Orte in Raum und Zeit, die er noch nicht betreten hatte und dies war einer davon. Endlich war die Stunde gekommen. Sein ganzes Streben und Sinnen war seit Äonen auf diesen, einen Augenblick gerichtet. Heute würde er die Welt aus Gottes Händen reißen und sie sich Untertan machen. Als Gott diese Menschen, dieses lächerliche Geschmeiß, geschaffen hatte, hatte er
IHM
die Lanze in die Hand gegeben, mit dem er ihn vom Thron stoßen würde.
Vor so langer Zeit schon, am Anbeginn der Tage der Menschheit, hatte er erkannt, wie leicht diese dummen Schafe zu verführen waren. Ein bisschen Macht, ein bisschen Ruhm und schon waren sie bereit zu morden
Weitere Kostenlose Bücher