Schneemond (German Edition)
so auch gleich abzusprechen, wie seine Mitarbeit in Zukunft aussehen könnte. Als er das Büro betrat und sich im Sekretariat vorstellte, starrte ihn sowohl die Sekretärin, als auch ein Herr mittleren Alters – bei dem es sich um den Inhaber des Büros handelte, wie sich anschließend herausstellte – mit offenen Mündern an, wie eine große haarige Spinne, die steppend und singend durchs Fenster geflogen war.
»Entschuldigen Sie«, sagte der Büroinhaber schließlich, wobei er leicht nervös lächelte.
»Ich hatte eigentlich nicht gedacht, dass es Sie so richtig gibt.... ich meine, so wirklich in Fleisch und Blut...... als wirklicher Mensch eben. Wir waren mehr der Annahme, es handelt sich bei ihnen um so eine Art Onlinedienst, der diese Arbeiten von unterschiedlichen Leuten ausführen lässt. So was eben....«
Spätestens nach dieser
lustigen
, kleinen Episode erkannte Lukas das Ausmaß seiner selbstgewählten Einsamkeit – und die Möglichkeiten, die sich in seiner Welt dafür boten und die er auch weidlich genutzt hatte.
So
also war es möglich, dass Menschen in vollbesetzten Mietshäusernstarben, ohne auch nur von irgendjemandem vermisst zu werden. Und keiner dieser armen Schweine würde wohl jemals gefunden werden, wenn sie nicht letztlich wenigstens durch den Gestank ihres verwesenden Fleisches etwas Aufmerksamkeit auf sich ziehen würden, dachte Lukas bitter. Schließlich war es ja auch wesentlich leichter, Augen und Ohren zu verschließen, als die Nase. Denn sehen und hören brauchte man nur das, was man wollte. Atmen jedoch musste jeder, überall und zu jeder Zeit – wenn der Gestank auch noch so groß war. An diesem Tag jedenfalls fasste er für sich einen, wie er fand, gewaltigen und entscheidenden Entschluss: Er wollte
so
nicht mehr weiterleben!
Was auch geschah, er wollte sich seiner Zukunft und seinem Leben wieder stellen, mit allen ihren Höhen und Tiefen – und auch mit den Erinnerungen an Sara und Eva.
Nach diesem Entschluss fühlte er, dass er seit langer Zeit seinen Blick wieder nach vorne richten konnte. Zwar plagten ihn seine Träume und die damit verbundenen Schmerzen auch weiterhin, doch mehr und mehr konnte er auch die schönen Seiten seines Lebens wieder sehen. Und so hatte er es schließlich doch noch geschafft, alle Vorbereitungen abzuschließen, um für Ben’s Projekt –
ihr
Projekt – bereit zu sein.
Eigentlich hatte er vorgehabt, mit Ben und den Anderen des Teams rauszufahren zum Institut, um unter der Woche zu arbeiten und das Wochenende wieder in seiner Münchner Wohnung zu verbringen. Doch Ben hatte ihn eines Besseren belehrt.
»Mensch Luk, was soll der Quatsch«, hatte er in seiner gewohnt flapsigen Art dagegengehalten.
»Wir sind im Institut bestens untergebracht und Du wirst sehen, dass dort so viel Arbeit auf uns wartet, dass dir die blöde Pendlerei bald zum Hals raushängen wird. Außerdem. Was willst du denn am Wochenende so alles machen ohne mich und die Anderen? Ein bisschen Trübsal blasen, damit Du’s nicht verlernst?«
Für solche Meldungen hätte er Ben manchmal eine scheuern können – wenn sie nicht nur immer so genau den Kern der Sache treffen würden. Letztlich hatte ihn Ben dann doch überredet, für die Zeit der Arbeiten ins Institut zu ziehen. So packte er seine paar Habseligkeiten – er war überrascht, wie wenig Dinge ihm tatsächlich noch wichtig erschienen waren – und vermietete seine kleine Wohnung, vorerst für ein Semester, an einen Studenten. Einen Tag vor ihrer Abfahrt – warum nur wurde er das Gefühl nicht los, dass dieser kurze Ausflug in das bayrisch-tschechische Grenzgebiet die Reise seines Lebens werden sollte – ließ er sich noch einen Termin bei Dr. Heimann geben.
»Hallo Doktor“, begrüßte er den alten Mann. »Ich bin eigentlich nurvorbeigekommen, um mich von Ihnen zu verabschieden.«
Dr. Heimann saß in seinem viel zu großen Sessel und sah Lukas, wie er fand, sehr interessiert an.
»Ja Lukas, ich habe schon gehört, dass Sie mit ihrem alten Freund eine kleine Reise antreten.« Er lehnte sich vor, als er leise fragte: »Und, wie geht es Ihnen dabei?«
Lukas hielt den musternden Blicken von Dr. Heimann stand.
»Nun, eigentlich sehr gut. Ich bin tatsächlich etwas aufgeregt.« Er hielt inne und überlegte kurz. »Noch vor drei Wochen, bin ich hier bei Ihnen gesessen und habe geglaubt, mein Leben würde ewig so grau und trostlos weitergehen. Doch jetzt – jetzt
erlaube
ich mir sogar manchmal daran zu glauben,
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