Schneemond (German Edition)
Gedanke gefiel ihm.
Er wurde von einem plötzlichen Klopfen an der Tür aus seinen Überlegungen gerissen und schreckte hoch.
»Ja bitte?«, fragte er mit belegter Stimme.
»Hallo Lukas, ich bin’s. Maria! Bist Du noch wach?«
Maria!
Vielleicht hatte sie nicht zuletzt einen Anteil an den Veränderungen, die mit ihm vorgingen. Wenn er sie ansah, was ziemlich oft geschah, wie er sich eingestehen musste, spürte er das Leben von seiner schönsten Seite. Er hatte festgestellt – ein wenig bestürzt zuerst – dass er Maria als Frau sehen konnte und keine Schuldgefühle hatte, wenn er an Sara dachte. Ganz im Gegenteil hatte er immer öfter das Gefühl, Sara hätte keine Einwände, wenn er und Maria sich näherkommen würden. Fast so, als würde sie sagen,
es ist schon in Ordnung Lukas, Dein Leben geht weiter...
Maria war eine sehr schöne und auch sehr intelligente Frau.
Sie war, nachdem ihre Eltern früh verstorben waren, in einem Waisenhaus in Ledesma, in der Nähe von Salamanca, in der spanischen Provinz Castillien, aufgewachsen. Da diese Einrichtung dem Institut nahe stand, hatte sie eine gute Schulausbildung genossen und schließlich die Möglichkeit erhalten, in Heidelberg ein Geschichtsstudium zu absolvieren.
Sie war offenbar schon zu dieser Zeit so eng mit dem Institut verbunden, dass sie eine feste Anstellung erhalten und an der University of Boulder, Colorado, in den Staten promoviert hatte, bevor sie hier, an den Hauptsitz des IOHCE, zurückgekehrt war, um als Bindeglied zwischen den Forschern, den Wissenschaftlern und dem Institut tätig zu sein.
Und sie hatte ihn vom ersten Augenblick an fasziniert.
Lukas rappelte sich aus seinem Schreibtischsessel hoch, versuchte sich die Haare glatt zu streichen und hastete zur Türe, fast als würde er befürchten, Maria könnte es sich anders überlegen und verschwinden, wenn er nicht schnell genug wäre.
»Moment, ich komme....«, rief er, bevor er die Türe öffnete und auf eine mit Akten überladene und sichtlich angestrengte Maria blickte.
»Oje, was bringst Du denn da...?«, fragte er, während er versuchte, sie wenigstens von einem Teil ihrer Last zu befreien, was sie mit einem dankbaren Lächeln quittierte.
»Das sind die restlichen Planunterlagen, die von den Institutsgebäuden vorhanden sind«, keuchte sie.
Lukas verfrachtete die Unterlagen auf seinen Schreibtisch.
»Komm ruhig rein. Ich arbeite ohnehin noch.«
Sie betrat das Zimmer, stieß mit dem Fuß die Tür hinter sich ins Schlossund legte den Rest der Ordner auf den Boden, neben den Schreibtisch, da sie offensichtlich zu der Überzeugung gelangt war, dass jedes Blatt mehr auf dem Tisch katastrophale Folgen für diesen haben würde.
»Das hab ich mir schon gedacht, Du Nachteule«, flachste sie, »du kennst ja anscheinend keinen Feierabend.«
Er grinste sie an.
»Ach, und da hast Du Dir gesagt, Du könntest mich ja gleich
so
mit Arbeit eindecken, dass ich gar nicht mehr zum Schlafen komme?«
Nun mussten beide lachen.
»Ja, so ungefähr...«, gab sie zu.
Maria nahm sich einen Stuhl und setzte sich zu Lukas an den Schreibtisch, um ihm zu helfen, die Planunterlagen in ihre bereits bestehenden Aufzeichnungen einzuordnen. Lukas hatte die unterschiedlichen Gebäude auf der Grundlage des offiziellen Vermessungsplanes, mit Zahlen versehen und für jede dieser Zahlen einen oder mehrere Ordner angelegt, in welchen die verschiedenen Bestandspläne nun verschwanden. Er war fasziniert davon, Pläne eines Gebäudes, aus verschiedenen Zeiten, nebeneinander liegen zu sehen und darauf, fast wie bei einer Zeitreise, die Veränderungen – die
Entwicklung
– des Baukörpers zu erkennen. Auch fand er die unterschiedlichen Darstellungsformen der Pläne selbst äußerst bemerkenswert.
Da waren Zeichnungen von 1875, auf dickem, pergamentartigen Papier, auf denen die Bauwerke mit Tusche und Aquarellfarben plastisch und kunstvoll dargestellt waren. Auf denen zwar der Maßstab, in dem sie gehalten waren, angegeben war, welche jedoch ohne ein einziges Maß auskamen – ein Zeichen dafür, dass der Planfertiger auch gleichzeitig vor Ort, mit beiden Händen, an der Ausführung mitgewirkt hatte.
Wie bei einem Bildhauer existierte die Schöpfung dieses Meisters vor allem in seinem Geist, in seiner Vorstellung und er hatte genug Kenntnis von Material und Proportionen, dass er die Zeichnung nur benötigte, um Anderen einen Eindruck seiner Vision und seines Zieles zu verschaffen.
Ganz anders bei den Plänen aus
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