Schneemond (German Edition)
ein Grinsen. Gerade dachte er daran, wie wohl er sich in ihrer Gegenwart fühlte, als ihr Blick mit einem mal ernst wurde und sie ihm eine Frage stellte, die ihn, wie ein Blitzschlag, traf.
»Erzählst Du mir von Deinen Träumen?«, sagte sie.
Während sich draußen der Horizont langsam aber unaufhaltsam in der Morgendämmerung aufhellte, saß Lukas auf der Couch in seinem Zimmer und starrte ins Leere. Maria hatte sich vor ein paar Minuten mit einem zarten Kuss und einem melancholischen Lächeln von ihm verabschiedet und war leise, ihre Schuhe in der Hand, durch die Tür gehuscht. Und noch immer fragte er sich, was da die letzten Stunden eigentlich genau geschehen war. Als sie ihn nach seinen Träumen gefragt hatte, war ihm zuerst vor Verblüffung die Spucke weggeblieben, bis er sie schließlich mit heiserer Stimme gefragt hatte, woher sie das wüsste.
Doch anstatt sich zu rechtfertigen und ihm eine plausible Erklärung für ihr Wissen zu liefern – was ihm doch schließlich zustand, fand er – hatte sie ihn mit einem derart sinnlichen Blick bedacht, dass sogar das Eis in der Arktis geschmolzen wäre und hatte nur erwidert:
»Ist doch egal. Erzähl mir einfach davon.«
Doch Lukas war, trotz aller noch so schweren Geschütze ihrer Weiblichkeit, die sie auffuhr, nicht so ohne weiteres bereit gewesen, sich preiszugeben.
Er hatte lange gebraucht, um überhaupt über diese düsteren Visionen, die ihm jedes Mal zuerst seelische Qualen und dann diese verfluchten Kopfschmerzen gebracht hatten, zu sprechen. Und auch dann hatte er sich nur Dr. Heimann anvertraut. Zum einen, weil dieser aufgrund seines Berufsstandes zur Verschwiegenheit verpflichtet war, zum anderen, weil er über die Jahre gelernt hatte, dass er diesem Mann wirklich vertrauen konnte.
Und jetzt war Maria einfach auf ihn zugekommen und hatte ihn zu einem derartigen Seelenstriptease aufgefordert. Woher konnte sie überhaupt davon wissen? Er hatte doch auch Ben nichts davon erzählt.
Lukas war ein bisschen ärgerlich geworden. Was bildete sich diese..., diese wunderschöne, begehrenswerte Frau überhaupt ein? Sollte er vielleicht, einfach so, in ihre Arme sinken, sich an ihre warme, weiche Brust schmiegen und sein Innerstes vor ihr ausbreiten?
Noch immer hatte sie ihn mit diesem entwaffnenden Blick, aus ihren rehbraunen Augen angesehen und der Zeterer und Zauderer hinter seiner Stirn war immer leiser geworden und hatte mehr und mehr an Kraft verloren. Doch in einem letzten Aufbäumen hatte er sich noch einmal nach vorne gedrängt, bevor er endgültig verschwunden war.
»Woher
weißt
Du das?«, hatte er sie kraftlos und weit weniger bestimmt, als er eigentlich gewollt hatte, gefragt.
Und noch immer hatte sie ihn mit ihrem Blick gefangen gehalten, der jedoch ernster geworden war, als sie ihm schließlich geantwortet hatte.
»Ich sehe den Menschen in die Augen und manchmal kann ich erkennen, wie sie sind. Ich habe Krieger gesehen und Fürsten, Gesegnete und Verfluchte, Opfer und Retter. Ich habe überschwängliche Freude gesehen und tiefstes Leid.«
Sie hatte den Arm gehoben und mit dem Rücken ihrer Finger sanft über seine Wange gestreichelt.
»Ben hat mir viel von Dir erzählt, Lukas. Aber auch ohne diese Geschichten habe ich schon am ersten Tag die Wunden in Deinem Herzen gesehen. Und ich spüre, dass Dich neben Deinem Verlust auch Träume plagen. Ich frage Dich nicht aus Neugier, sondern weil ich Dir helfen will....«
»Mitleid ist das Letzte was ich brauche«, hatte er sie verbittert angezischt und hatte sich abgewendet, verstört darüber, wie sich dieser Abend mit Maria – ganz entgegen seiner Vorstellungen – entwickelt hatte. Wo war ihm der Flirt mit ihr nur so entglitten?
Doch Maria hatte sein Gesicht in beide Hände genommen und ihn gezwungen sie wieder anzusehen.
»Hey Du Dummkopf, das hat nichts mit Mitleid zu tun. Ich möchte Dir helfen, weil ich Dich
gern habe
«, hatte sie ihm lächelnd gesagt, worauf er sich zu einem schiefen und verlegenen Grinsen durchgerungen hatte.
»Bitte, Lukas, erzähl mir von Deinen Träumen.«
Und damit war auch sein letzter Widerstand gebrochen gewesen und er hatte ihr von seinen Träumen erzählt. Von den gnadenlos eisigen Weiten, den knorrigen Bäumen und den sterbenden Kindern. Und er hatte ihr erzählt von seiner Hilflosigkeit und seiner Wut, ob dieser sinnlosen Tode. Und schließlich hatte er ihr mit leiser Stimme erzählt von der Frau, ihren vorwurfsvollen Blicken und ihren rätselhaften Worten
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