Schneemond (German Edition)
einigermaßen auf dem Damm zu sehen. Er selbst machte jedoch einen eher niedergeschlagenen Eindruck.
»Verdammt, Lukas. Ich lass mir das nicht ausreden«, grollte er zum wiederholten male. »Ich weiß doch was ich gesehen habe. Und Du weißt das doch auch, oder?«
Lukas konnte die unerschütterliche Überzeugung seines Freundes nicht so ohne Abstriche teilen.
»Ja schon«, erwiderte er vorsichtig. »Aber ich würde nicht mein Leben darauf verwetten, dass das alles wirklich war.«
Daniel beugte sich vor und sah Lukas fest in die Augen. So leicht würde er sich nicht geschlagen geben.
»Lukas, denk doch mal nach. Du bist da unten total zusammengebrochen. Wenn das die Auswirkung von, was weiß ich, für einer Gaskonzentration war, warum hat es dann nur dich so schlimm erwischt und mich überhaupt nicht? Und doch haben wir beide dieselben Halluzinationen, völlig identisch? Das ist doch Quatsch.«
»Na ja«, startete Lukas den Versuch, Daniel’s Aussage zu relativieren. »Nicht ganz identisch«
»Ja ok. Du hattest noch die Visionen von dem Kreis und das alles. Aber sonst. Die Eisentüre, der Abhang, die Höhle mit den Malereien.... Das kann mir doch im Leben keiner erzählen, dass wir so vollkommen gleiche
Wahnvorstellungen
haben.«
Lukas war nicht wohl bei dieser Unterhaltung.
»Ich weiß ja, was Du meinst. Aber wieso sollte uns die Institutsleitung anlügen? Wieso sollte uns
Maria
anlügen?«
»Sag ich ja gar nicht«, entgegnete Daniel.
»Vielleicht wissen sie ja wirklich nichts von dieser Höhle. Aber ich weiß, dass wir durch diese Türe gegangen sind und.....«
»Daniel«, unterbrach ihn Lukas. »Du hast doch selbst gesagt, dass die Eisentüre nicht mehr da ist.«
Daniel war hilflos und frustriert. »Ja, verdammt, das ist es ja. Ich schleppe Dich halbtot durch diese dämliche Türe und schwupp, ist sie weg.«
Doch er wollte einfach nicht klein beigeben und so versuchte er es mit einer anderen Theorie. »Mensch Lukas, was ist, wenn dieser Durchgang nur zu bestimmten Zeiten, oder für bestimmte Personen existiert....«
»Daniel, Daniel«, bremste ihn Lukas ein. »Mann hör Dir doch mal selber zu. Du ersetzt eine – zugegebenermaßen – seltsame Erklärung durch eine absolut haarsträubende.«
Lukas legte ihm die Hand auf den Arm und versuchte seinen Freund zu beruhigen. »Daniel, bitte. Lass es fürs Erste gut sein. Ich fühle mich immer noch beschissen und mein Schädel dröhnt wie ne Techno-Disco. Ich muss einfach noch ein wenig schlafen. Vielleicht bin ich Dir eine größere Hilfe, wenn ich wieder halbwegs klar denken kann.«
Daniel sah Lukas an und erkannte wie Recht er hatte. »Tut mir leid, Mann. Du bist gerade von den Toten auferstanden und ich quatsche Dich hier endlos voll.«
»Schon gut. Ich verspreche Dir, dass wir noch hinter das Geheimnis kommen. Aber wenn ich jetzt nicht noch ein bisschen Schlaf bekomme, kannst Du gleich noch mal mit den Wiederbelebungsversuchen anfangen.«
Daniel lächelte gequält.
»Nein danke, mein Bester. Einmal reicht.«
Er erhob sich und stellte den Stuhl zurück an den Tisch. »Schlaf Dich ruhig gesund. Ich bin ja froh, dass ich Dich von da unten raufgebracht habe.«
Doch Lukas murmelte nur noch etwas Unverständliches und war schon halb eingeschlafen, als Daniel leise und mit einem letzten, besorgten Blick auf seinen Freund den Raum verließ.
Er schritt über den weißen, feinkörnigen Schnee, der vom Wind in langen, durchsichtigen Fahnen an ihm vorbeigetragen wurde. Er konnte den Schneewind und die eisige Kälte auf seiner nackten Haut spüren, doch sie schienen ihm nicht wirklich etwas anzuhaben. Als sich die knorrigen Bäume aus der mondhellen Nacht vor ihm herausschälten, blieb er stehen und sah an sich herunter.
Er war nackt - und er schwebte einige Zentimeter über dem Boden.
Lukas nahm diese Tatsachen nur nebenbei zur Kenntnis, sah sich teilnahmslos um und ging schließlich weiter auf die verkrüppelten und vom Winter gequälten Bäume zu. Als er den zugewehten Weg erreichte, wandte er sich der alten Eiche zu, blieb vor ihr stehen und blickte auf die, in der unbarmherzigen Kälte erstarrten Körper der beiden Kinder hinab, die sich in einer letzten, verzweifelten Hoffnung an einander geklammert hatten. Tränen stiegen ihm in die Augen und liefen ihm über die Wangen, wo sie fast sofort zu Eis gefroren. Lukas schloss die Augen, übermannt von Trauer und Verbitterung über diesen sinnlosen Tod.
Was hatte er hier verloren? Warum nur war er
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