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Schneemond (German Edition)

Schneemond (German Edition)

Titel: Schneemond (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kohlpaintner
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Rassenmerkmalen – und doch strahlte jede Einzelne von ihnen die gleiche, erhabene Schönheit und Größe aus, wie die Rothaarige.
    »Aber wer bin ich? Und wo ist mein Platz?«, fragte er sie hilflos.
    Die Rothaarige war nun noch näher zu ihm getreten, legte ihm ihre Hand – warm und weich - auf die Wange und zwang ihn, mit sanftem Druck, sie anzusehen.
    »Der Tag wird kommen, an dem Du Deinen Platz in der Ordnung der Welt einnehmen musst. Und an diesem Tag musst Du Dich an diese Orte hier und was Du hier siehst, erinnern.«
    Lukas erschreckte vor dieser furchteinflößenden Prophezeiung. Was erwarteten sie von ihm? Hatte er nicht schon genug gelitten in seinem Leben? Und schließlich geriet er in Zorn, über seine Hilflosigkeit angesichts des Todes der beiden Kinder, die er immer und immer wieder erfahren hatte müssen.
    »Ich habe hier nur einen grausamen und sinnlosen Tod gesehen...«, erklärte er bitter.
    Doch in den tiefen, grünen Augen der Frau erkannte er, zu seiner Überraschung nur Wärme und Güte. Sie fasste ihn an den Schultern, drehte ihn zu der Eiche um, an deren Wurzeln die kleinen, gefrorenen Leiber ihr Grab gefunden hatten und flüsterte ihm leisezu:
    »Sieh mit Deinem Herzen!«
    Lukas starrte auf den kalten, hartgefrorenen Winterboden und war immer noch von Trauer und Verzweiflung erfüllt, als er es sah. Zuerst glaubte er an eine Sinnestäuschung, als vereinzelte Funken aus der Stelle hervorbrachen, an der die Kinder unter der eisig weißen Schneedecke verborgen lagen. Nach und nach jedoch waren es zu viele, als dass er weiter an ein Trugbild glauben mochte. Wie um den eisigen Winter zu verspotten, arbeitete sich, vor seinen staunenden Augen, der Trieb einer Blume langsam durch den pulvrig feinen Schnee und wuchs und blühte, ungeachtet des beständigen Eiswindes. Doch da war noch etwas anderes. Nur wenige Zentimeter von der aufkeimenden Blume entfernt, schob sich ein in tiefen, dunklen Farben glänzendes Etwas aus der Erde und erst nach längerem Hinsehen erkannte Lukas, dass es sich um einen Kristall handelte.
    In einer Geschwindigkeit, die im krassen Gegensatz zu der stark verlangsamten Umgebung stand, bildete die Blume immer neue Triebe und der Kristall teilte sich in immer mehr Facetten und beide weiteten sich aus und kamen sich dadurch ständig näher. Als sie sich schließlich so nahe waren, dass sie sich berührten, fingen sie an, einfach ineinander zu wachsen. Lukas, zwischenzeitlich so fasziniert von diesem Geschehen, dass er nichts mehr um sich herum wahrnahm, betrachtete voll Freude die Verschmelzung dieser beiden zarten Gebilde zu einem Abbild von strahlender Schönheit. Und sie erinnerten ihn an zwei Liebende, die, in völliger Weltvergessenheit, einer im anderen aufgehen und sich verlieren. Er spürte die Hand der Rothaarigen auf seiner Schulter und so leise wie zuvor, fast als wollte sie diesen Augenblick der Glückseeligkeit nicht durch ein unachtsam lautes Wort zerstören, flüsterte sie ihm ins Ohr.
    »Der Tod bedeutet nicht das Ende, Lukas. Er ist ein Übergang und der nächste Schritt auf dem Weg. Er ist ein neuer Anfang im Kreis des Lebens. Präg Dir diese Bilder ein, mein Freund und erinnere Dich daran.«
    Und ihre Worte wurden leiser und leiser.
    »Erinnere Dich daran..... Erinnere Dich daran......«
    Und als Lukas seine Augen hob und um sich sah, bemerkte er, dass die Schemen der Frauen verblassten und der Wind wieder mit unverminderter Stärke über das gepeinigte Land jagte. Und als er wieder zu den Wurzeln der Eiche hinuntersah, war die Kristallblume hinter dem Schleier der Schneefahnen, die der mörderische Eiswind vor sich hertrieb, fast verschwunden. Und schließlich verblasste die Welt zu einer konturlosen weißen Masse die zum Schluss selbst den blassen Schneemond, der rund und trüb am Firmament hing, verschlang.
    Als Lukas nach einigen Tagen von Dr. Mayr die Erlaubnis erhielt, sein Bett wieder zu verlassen, wollte er sich mit Feuereifer in die Arbeit stürzen, musste jedoch schnell erkennen, dass er noch weit davon entfernt war, wieder ganz fit zu sein. Nicht nur, dass er immer noch sehr schwach auf den Beinen war, wenn er in die Senkrechte zurückkehrte, auch seine Psyche hattedas Abenteuer nicht ohne Narben überstanden.
    Fast jede Nacht schreckte er aus Träumen hoch, an die er sich nach dem Aufwachen nicht mehr genau erinnern konnte, die ihn aber frustriert und nachdenklich zurückließen. Fragmente seiner Träume geisterten immer wieder durch seine

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