Schneenockerleklat
nicht, war, dass der ausschließlich an
sich und Geld interessierte Mühsam, wie ihn einige seiner Kollegen insgeheim
und durchaus zutreffend nannten, gleichzeitig auch den MI 6 an seinem
zweifellos umfassenden Wissen über die Menschen und Vorgänge in der DDR
teilhaben ließ. Sowie gelegentlich auch die CIA, den Bundesnachrichtendienst
und andere Organisationen, die gut dafür bezahlten. So genau wusste man das
zwar nicht, denn der Braunschweiger ging sehr vorsichtig vor. Aber aus heutiger
Sicht waren die wenigen, die dazu noch etwas sagen konnten, durchaus davon
überzeugt.
»Fast alle, die damals mit Mühlsalm zu tun gechabt chaben,
waren sich sicher, dass der Kerl aus Geldgier auch seine Großmutter verkauft
chätte«, wusste Malatschew. »Bloß den MI 6 chat er erfolgreich davon überzeugen
können, dass er aus Liebe zu Großbritannien Informationen sammelte.«
Der Grund dafür war, dass Mühlsalms Mutter die Tochter
eines waschechten Colonels der britischen Besatzungsarmee, der 1947 geborene
kleine Tommy demnach ein halber Engländer war.
Durch seine vordergründig sehr nette und gesellige Art
verstand es Mühlsalm ausgezeichnet, Kontakte herzustellen und rasch das
Vertrauen seiner neuen Bekannten oder Freunde zu gewinnen.
Das prädestinierte ihn
vor allem dafür, als aufmüpfig bekannte Kreise wie Studenten, Journalisten und
auch Künstler zu infiltrieren und auszuhorchen.
Anfang der 80er-Jahre
hatte der Mehrfachagent bei einer Art Theaterfestival in Prag, an dem auch
Kleinbühnen aus der DDR, Ungarn und Polen teilgenommen hatten, die
Spottdrosseln kennengelernt, eine gemischt slowakische/ungarische Truppe aus
dem zweigeteilten ehemaligen Komorn an der Donau.
»Woher weißt du das alles?«, warf Palinski ein, dem Juri
Malatschew immer unheimlicher wurde, je länger er ihn kannte. »Woher hast du
diese phänomenalen Detailkenntnisse?«
»Wie du vielleicht weißt«, brummte der Russe, »war ich von
1974 bis 1989 in Berlin stationiert. Da bekommt man nicht nur alles mit,
sondern chört sogar die Flöhe chusten!« Er lachte schallend auf. »Ja, chusten,
das ist gut!«
Leiter und Spiritus Rector der Spottdrosseln war ein
gewisser Antal Homolay, Professor für Deutsch und deutsche Literatur an der
János-Selye-Universität in Komárno, dem slowakischen Teil Komorns. Homolay und
Mühlsalm, beide etwa gleich alt, freundeten sich an und wurden rasch
unzertrennlich. Der charismatische Slowake ungarischer Herkunft war dann auch
Trauzeuge bei Mühlsalms Hochzeit mit Paula Dlemka im Mai 1982 und Taufpate der
kleinen Andrea, die einen Tag vor Silvester desselben Jahres auf die Welt kam.
Palinski konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass diese
Geschichte Malatschew mehr berührte, als man von der simplen Wiedergabe von
rein sachlichen Informationen erwartet hätte.
»Ist es dir unangenehm, darüber zu sprechen?« Er
blickte den alten Freund besorgt an. »Oder geht es dir sonst nicht gut?«
»Nein, nein, es geht schon«, widersprach der Russe, »alles
ist in bester Ordnung.« Sein Blick stand allerdings in krassem Widerspruch zu
seinen Worten.
»Na ja«, räumte er dann ein. »Cheute bin ich
nicht sehr gut im Lügen. Ich chabe Paula eine Zeit lang gut gekannt. Sie chat
sich dann aber für diesen …, für Mühlsalm entschieden. Aber«, und jetzt klang
seine Stimme wirklich fröhlicher, »bald darauf chabe ich Gisela kennengelernt,
und ein Jahr später waren wir selbst eine kleine Familie. Leider für nicht sehr
lange.«
Jetzt erinnerte sich Mario wieder. Juri hatte ihm schon vor
langer Zeit anvertraut, dass ein betrunkener Autofahrer im Herbst 1985 seine
Frau und seine kleine Tochter Natalia beim Überqueren der Straße mit dem Wagen
erfasst und getötet hatte. Kein Wunder, dass der alte Freund gelegentlich zur
Schwermut neigte. Eine riesengroße slawische Seele und dazu dieses Schicksal.
Auch wenn es bereits mehr als 20 Jahre her war.
Später war es dann zu
Unstimmigkeiten zwischen den beiden gekommen, die sich zunächst aber noch nicht
sonderlich auf ihre Beziehung ausgewirkt hatten. Eine gewisse Distanz war
allerdings mit der Zeit nicht zu übersehen.
»Rückblickend vermute ich, dass Homolay etwas
gesehen, gechört oder sonst wie erfahren chat, das für Mühlsalm unangenehm
gewesen sein muss. Und zwar äußerst unangenehm.« Er zuckte mit den Achseln.
»Vielleicht chat Antal ja mitbekommen, dass sein Freund
Thomas ein doppeltes oder gar
Weitere Kostenlose Bücher