Schneenockerleklat
eigenen Fleisch und Blut, herauszukitzeln, und das im wahrsten Sinne des
Wortes, empfand Elisabeth Bachler Mario darüber hinaus auch noch irgendwie als
Kumpel, als richtig klasse Burschen. Wie man in Wien zu sagen pflegte, wenn
auch nicht unbedingt in den Kreisen, in welchen sich die Bachlers bewegten.
Diese zugegebenermaßen etwas eigenwillige, ja
radikale Form, mit der Tante Anita zur Bekanntgabe des Losungswortes für das
Sparbuch bewegt worden war, hatte völlig unerwartet noch ein Nachspiel. Am
Abend hatte Wilmas Mutter den Anruf eines Inspektor Kahlbeck vom Kommissariat
in der Wattgasse erhalten. Der sie darüber informiert hatte, dass »Ihre
Schwester, Frau Anita Abbersyn, wegen Diebstahls eines Sparbuches und
Erzwingung der Bekanntgabe des Losungswortes Anzeige erstattet hat«.
Elisabeth Bachler hatte zunächst nicht gewusst, ob sich da
nicht irgendjemand einen dummen Scherz erlaubte, die Sache dann aber ernst
genommen.
»Meine Schwester hat also tatsächlich Anzeige gegen mich
erstattet!«, meinte sie schließlich ungläubig. »Ja, ist denn das überhaupt
zulässig?« Sie hatte da schon etwas darüber gelesen. »Fällt das nicht unter
Familiendiebstahl oder so ähnlich?«
»Das ja«, räumte der Inspektor höflich ein, »daher wird das
Delikt auch nur auf die Anzeige des betroffenen Familienmitgliedes verfolgt.
Aber um Sie geht es gar nicht, gnä’ Frau. Ihre Schwester hat Sie nicht
beschuldigt, sondern als Zeugin angeführt!«
Wilmas Mutter konnte es nicht fassen. »Ja«, stotterte sie
schließlich nach einigen Schrecksekunden, »was soll ich denn bezeugen?«
»Dass ein gewisser …«, Elisabeth Bachler hörte Papier
rascheln. Der Inspektor suchte offenbar einen Namen, »Mario Palinski, ja,
Palinski, von Frau Abbersyn beschuldigt wird. Und Sie das angeblich alles
bestätigen können?« Plötzlich hatte der bis dahin souverän wirkende Polizist
einen unsicheren Eindruck gemacht. »Sagen Sie, gnä’ Frau, Sie kennen doch
diesen Palinski?« Er wartete Elisabeth Bachlers Bestätigung gar nicht erst ab.
»Hat der Palinski vielleicht irgendetwas mit dem Palinski zu tun, dem das
Institut für Krimili…?«
»… literanalogie, das heißt Krimiliteranalogie.« Wilmas
Mutter hatte den ersten Schreck überwunden und war bereit, für Mario auf die
Barrikaden zu steigen. Falls unbedingt notwendig. »Ja, das ist genau d e r Mario Palinski!«
»Uiii!«, war es Inspektor Kahlbeck entfahren, »ist der nicht
gut befreundet mit dem Wallner vom Landeskriminalamt?«
Elisabeth Bachler hatte genickt und noch »Mit dem
Ministerialrat Schneckenburger auch, und sogar mit dem Minister selbst!«
hinzugefügt.
»Na, da muss ich aber vorsichtig sein!«, murmelte Kahlbeck
pragmatisch, »und sehr diplomatisch vorgehen!« Eine Analyse, die Wilmas Mutter
nur hatte bestätigen können.
Dann hatte sie Anitas verquere Darstellung des
Geschehens korrigiert, ihre eigene Rolle bei der leidigen Geschichte
klargestellt und jegliche Schuld Palinskis vehement bestritten.
»Mario war lediglich dabei, hat beruhigend auf meine
Schwester eingewirkt!«
Auf jeden Fall sollte Herr Palinski, der Inspektor hatte
diese Aufforderung eher wie einen Wunsch, eine Bitte formuliert, doch
spätestens bis morgen 8 Uhr früh am Kommissariat vorbeikommen und seine Aussage
machen.
»Ich soll dir von Mutter ausrichten, dass dieser Kahlbeck
dich vorführen lassen muss, falls du dich nicht bei ihm meldest!« Man konnte
Wilma ansehen, dass ihr diese Sache gar nicht schmeckte. »Kann er das wirklich
tun?«
»Keine Ahnung!«, Palinski zuckte müde mit den Achseln. »Aber
ich möchte gar nicht herausfinden, ob er kann oder nicht. Ich werde halt wieder
einmal nach Wien fahren!« Resignierend blickte er auf seinen Chronometer. Es
war fast 2 Uhr.
Zu wenig Zeit, um noch zu schlafen, genug Zeit, um kräftig
starken Kaffee zu tanken und Malatschew die letzten Geheimnisse über die
Vorkommnisse in Budapest 1988 zu entlocken.
*
Dr. Ferry Homolay, der jüngere Bruder Antals,
war zu seiner Zeit nicht nur in seiner Heimat ein bekannter Journalist gewesen.
Seine exakten Recherchen und die darauf basierenden kritischen Artikel waren
nicht nur den Machthabern vor der Wende häufig ein kräftiger Dorn im Auge
gewesen. Bis er knapp sechs Jahre nach dem Niedergang des Kommunismus ganz
plötzlich schwer erkrankt und innerhalb zweier Wochen unter nach wie vor
ungeklärten Umständen verstorben war. Die Ärzte
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