Schneenockerleklat
Chefs hatte übernehmen müssen, erwies sich in dieser Situation als sehr
kompetent und hilfreich. Dank seiner Ausbildung als Polizist sorgte er zunächst
dafür, dass die 24-Sitzer ihre Fahrt wie ursprünglich geplant fortsetzten.
Dann dirigierte er die beiden Großen, die sich inzwischen auf
sein Geheiß hin langsam talwärts bewegt hatten, hinunter bis zur Abzweigung der
alten Straße von der Schnellstraße. Dorthin, wo es gleich danach in den
Straßentunnel ging.
Hier endlich war es flach genug, um nach
Beseitigung von ein, zwei Straßenbegrenzungen auf der dadurch gewonnenen Fläche
eine provisorische Fahrbahn mit entsprechend großem Radius schaffen zu können.
Florian hatte den Polizeichef vom Semmering und dieser wieder
den Bürgermeister bedrängt, einen entsprechenden Express-Auftrag an die
zuständige Straßenmeisterei zu geben.
Inzwischen hatte auch Generaldirektor Eberheim das Problem
erkannt und begonnen, Decken, Tee und Hühnersuppe, beides natürlich heiß, und
Nussstrudel als kleine Stärkung verteilen zu lassen.
»Mir war klar, dass unseren Gästen, die gezwungen waren,
diese bedauerliche Odyssee mitzumachen, inzwischen kalt sein und sie Hunger und
Durst haben mussten!«, erklärte er den zahlreichen Pressevertretern, die
natürlich auf diese einmalige Prozession aufmerksam geworden waren. Und
klarerweise auch im Fernsehen.
Der Fremdenverkehrsverband wieder hatte zwei
Ziehharmonikaspieler beigesteuert, je Schlitten einen, die den Leuten mit ihrer
Musik und ihren zum Teil hundsordinären Gstanzln die Zeit aufs Angenehmste
verkürzten und, wie sie dann vertraulich eingestanden, noch nie so viel
Trinkgeld bekommen hatten wie an diesem Abend.
Mit einem Wort, schließlich hatte sich die peinliche
Transferpanne als Mordshetz erwiesen. Ja, gar nicht wenige, die nicht dabei
gewesen waren, bedauerten dies und drängten darauf, diesen Event für einen
anderen Abend buchen zu können.
Worauf sich der Fremdenverkehrsverband gemeinsam mit dem
›Semmering Grand‹ entschließen sollte, aus der ursprünglichen Not eine Tugend
namens Winternight’s Dream zu machen und ins ständige Angebot zu übernehmen.
Preis pro Person 82 Euro, Kinder bis zwölf Jahren 54 Euro.
Aber immer noch waren nicht alle Gäste im Hotel. Doch jetzt
machte das niemandem mehr etwas aus.
Kurz vor 23.15 Uhr war es dann endlich so weit
gewesen. Die Straßenbegrenzung war auf mehr als 25 Meter abmontiert worden, der
Verkehr angehalten, und der Stau hatte in beide Richtungen bereits an die 100
Meter erreicht.
Die große Wende und damit die Rückkehr zur Passhöhe konnten
endlich in Angriff genommen werden.
Danach hatten sich die beiden Schlitten langsam, Kurve für
Kurve, wieder in die Höhe gearbeitet, bis zu der Stelle, an der die Hochstraße
von der Passstraße abzweigte. Und das in einem extrem spitzen Winkel, falls man
von der niederösterreichischen Seite her kam.
Hier wiederholte sich natürlich das Problem mit dem zu
geringen Kurvenradius. Und das noch dramatischer als vorher. Allerdings nur
prinzipiell, denn der wenige Meter weiter auf der anderen Straßenseite gelegene
und zu dieser Zeit fast leere Parkplatz vor der Bahn auf den Hirschenkogel
ermöglichte die erforderlichen Wendemanöver problemlos.
Eberheim stand vor dem Eingang des ›Semmering Grand‹ und
blickte nervös auf seine Armbanduhr. Was für eine verrückte Geschichte.
In der Dancing Bar rockte sich ein Teil der Gäste schon seit
Stunden den Schweiß aus ihren übergewichtigen Körpern, während die beiden
Schlitten mit den anderen Gästen noch die letzte Kurve der Hotelzufahrt nahmen.
Auf die Neuankömmlinge, die sich trotz des langen
Aufenthaltes in der Kälte optisch wie akustisch in Ordnung und in bester Laune
befanden, wartete jetzt ein opulentes Mitternachtsbuffet, begleitet von der
einschmeichelnden Musik, die Hans. O. Metschelka, ein begnadigter Pianist – er
hatte ursprünglich acht Monate wegen Bigamie bekommen – seinem Instrument zu
entlocken imstande war.
Und irgendwann zwischen 3 und 4 Uhr würde endlich Ruhe
einkehren, soweit in einem Hause wie dem ›Semmering Grand‹ überhaupt jemals
Ruhe einkehrte.
Dann endlich würde auch Adrian Eberheim einige wenige Stunden
Erholung finden. Hoffentlich, denn er hatte sie bitter notwendig.
Was für ein Abend, was für eine Nacht.
*
Als Palinski endlich beim ›Kaiser‹ ankam, war es
bereits 0.45 Uhr und das Kaffeehaus finster. Wo
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