Schneenockerleklat
sich ein etwa
1,20 x 0,80 Me-
ter großes und, da die hervorragenden Renovierungsarbeiten vor wenigen Jahren
diesen Teil des Hauses offenbar nicht eingeschlossen hatten, in seinen
Scharnieren total verrostetes Kippfenster. Da sich dieses nicht auf die
herkömmliche hatte öffnen lassen, war Antonio in gewohnter Weise radikal
vorgegangen und dem Fensterglas mit einem herumliegenden Ziegelstein an die
Substanz gegangen.
Nachdem er sämtliche Splitter beseitigt hatte, war mit einem
bequemen Stuhl und einigen Polstern rasch ein recht komfortabler und
ergonomisch einwandfreier Arbeitsplatz für seinen Chef vorbereitet. Einer, von
dem aus man einen wunderbaren, mindestens 150 Grad umfassenden Rundblick auf
die herrliche Winterlandschaft des Semmerings hatte. Und weit hinein sowohl ins
Niederösterreichische als auch ins Steirische schaun konnte.
Vor allem aber, und ausschließlich deswegen war
Pahl-Giacometti mit der Wahl seines Sekretärs hochzufrieden, hatte man hier den
etwa 400 Meter Luftlinie entfernt liegenden Slalomhang und das Zielgelände wie
eine große Bühne vor sich liegen.
Wie gesagt, ein idealer Platz für den Commendatore, sich
einen vergnügten Nachmittag zu machen. Jetzt fehlten noch frischer Kaffee und
ein paar Stück Kuchen, aber auch dafür würde Toni sorgen.
*
Geneva Post
hatte den Vormittag, bei ihr bedeutete das in der Regel die Zeit von 11 bis 12
Uhr, auf ihre ganz individuelle Art und Weise genützt. Nach dem Anruf dieser
komischen Frau, den sie wieder vergessen hatte, hatte sie nicht mehr
einschlafen können. Sie hatte das auf das helle Licht im Zimmer zurückgeführt,
das sie von ihrem vorhangvermummten Kämmerchen in Wien her nicht kannte.
Ein kurzer Blick aus dem Fenster und dann in den Schrank
hatte die Richtigkeit dessen bestätigt, was sie insgeheim schon angenommen
hatte. Mit den, zugegebenermaßen nicht ganz billigen Fetzen, die sie in Venedig
mitgehabt hatte, konnte sie in diesem Klima bestenfalls indoor überleben. Ja,
sogar gute Figur machen.
Für draußen hatte sie allerdings nichts, absolut nichts
anzuziehen.
Aber hatte sie dieser großherzige Mann, dieser
Mario Palinski, nicht als Überraschungsgast engagiert? Das bedeutete doch auch,
vielleicht zumindest, dass er mit Überraschungen ihrerseits rechnete.
Kurz entschlossen zog sie den Hosenanzug an, das Wärmste, das
sie im Koffer hatte. Jetzt in der Mittagszeit ging das schon in Ordnung.
Schon bald darauf erreichte Geneva das Sportgeschäft auf der
Passhöhe und besorgte sich einige Sachen zum Anziehen. Natürlich nur das
Wichtigste, sie wollte Marios Großzügigkeit ja nicht ausnutzen. Aber zwei
Skianzüge, einen wattierten Anorak, einen wattierten Mantel, was war der bloß
kuschelig, sowie einige Hosen und Pullover für après, das wars dann auch schon.
Immerhin hatte sie es in knapp einer Stunde geschafft, eine Rechnung in Höhe
von 1.638 Euro zustande zu bringen. Skianzug Numero eins sowie den Anorak
behielt Geneva gleich an. Die übrigen Kleidungsstücke sowie die Rechnung ließ
sie ins ›Grand‹ bringen, in die Suite von Herrn Mario Palinski, bitte.
Der Name schien derzeit am Semmering mehr Türen zu öffnen als
der Generalschlüssel des Hotels, denn der Chef des Ladens nahm das erfreut zur
Kenntnis, bedankte sich überschwänglich bei der jungen Frau und bat sie sogar,
Herrn Palinski beste Empfehlungen auszurichten.
Jetzt hatte Geneva gerade noch Zeit für einen Cappuccino und
ein Briochekipferl im Passstüberl einige Häuser weiter, dann war es schon Zeit,
sich im Zielraum des Prominenten-Rennens zu zeigen.
Sie war richtig neugierig, ob der Esslinger in natura auch so
gut aussah wie im Fernsehen.
*
Während die Hotelgäste in ihren Zimmern Siesta
hielten oder – mehrheitlich – zum Zielhang der Hirschenkogelabfahrt pilgerten,
um sich an den Slalomversuchen diverser mehr oder weniger prominenter
Zeitgenossen zu erheitern, während sich derzeit alle nicht unbedingt benötigten
Mitarbeiter des Hotels bis 18 Uhr in ihrer etwas antiquiert Zimmerstunde
bezeichneten Pause befanden, betraten drei junge Leute das Rasthaus
›Schottwien‹ weiter unten an der Schnellstraße.
Die beiden Frauen, Eva und Silva Homolay, waren Cousinen, der
31-jährige Stefan Kerthészy Evas Halbbruder.
Die drei gehörten einer traditionsreichen slowakischen
Familie mit ungarischen Wurzeln an, deren Geschichte weit in das vorige
Jahrtausend zurückging. Rein
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