Schneenockerleklat
Mare bekommt, ich bin hungrig.«
4.
Mittwoch, 19. Februar, nachmittags
Nachdem Palinski mit Helmbach konferiert, ihm
seine Sicht der Dinge vermittelt und einige Punkte speziell ans Herz gelegt
hatte, war er in die internationale Pressekonferenz zurückgekehrt. Mit rund 100
Medienvertretern aus ganz Europa war sie überraschend gut besucht.
Die Veranstaltung hatte mit einer Verspätung von knapp einer
halben Stunde begonnen. Als Ursache dafür kursierte das Gerücht, dass Sir
Fredericks morgendlicher Massagetermin mehr Zeit in Anspruch genommen hatte,
als dafür eingeplant gewesen war.
Na bitte, wenn das kein Grund war. Aber die Sonne schien, der
Schnee war herrlich frisch und weiß und die kühle Bergluft wunderbar belebend.
Mit einem Wort, alle fühlten sich wohl und niemand nahm Anstoß am mangelnden
Zeitgefühl eines alten, verdienstvollen Polizisten unter dem Eindruck kräftig zupackender
Masseurinnenhände.
Pressekonferenzen, die keine aktuellen, nervenzerfetzenden
oder gefühlsbetonten Themen zum Gegenstand hatten wie zum Beispiel
Blutverbrechen, die Enthüllung sexueller Verwirrungen Prominenter oder die
Geburt eines Pandababys im Zoo, neigten dazu, langweilig zu sein.
Und so war es auch hier und heute der Fall.
Mit ›50 Jahre FECI – eine Erfolgsstory‹ war demnach wirklich
kein Blumentopf zu gewinnen. Umso überraschender fand Palinski daher die
erfreuliche Besuchsfrequenz. Diese erklärte sich eher als Mix aus ohnehin
nichts Besseres vorhaben und Dankbarkeit für fünf Tage gratis in dem tollen
Hotel in dieser schönen Gegend.
Anwesenheit hatte aber nicht automatisch mit Aufmerksamkeit
zu tun. Im Gegenteil. Nicht wenige Journalisten holten jetzt jenen Schlaf nach,
den sie bis zum frühen Morgen in der Bar versäumt hatten. Einige andere wieder
machten komische, mitunter rituell wirkende Bewegungen, deren Sinnhaftigkeit,
wenn überhaupt, nur ihnen bekannt sein dürfte.
Ein Journalist, nämlich der Korrespondent von ›France Soir‹,
soweit Palinski sich erinnern konnte, spielte schon die ganze Zeit über mit
seiner Armbanduhr. Es war eines dieser protzig-klobigen Stücke, Stahl mit
schwarzem Ziffernblatt, mit Stoppuhr, einer Menge anderer Funktionen und so
weiter und so fort. Einer dieser beeindruckenden Chronometer, mit denen man
auch noch in 50 Meter Meerestiefe ganz genau ablesen konnte, wie spät es gerade
in Moskau, Tokio und New York war.
Je länger Palinski dem jungen Mann da unten beim
Spielen mit der Uhr zusah, desto unruhiger wurde er. Irgendetwas in seinem
Unterbewusstsein begann, sich zu regen und an Konturen zu gewinnen, um dann
machtvoll ins Bewusstsein durchzubrechen. Aber noch war es nicht so weit.
Mario konnte sich noch gut erinnern, dass er schon in der
Mittelschule von einer derartigen Uhr geträumt hatte. Leider war es bisher noch
nicht dazu gekommen. Warum eigentlich? Was sprach dagegen, sich bei Gelegenheit
selbst eine zu kaufen. Inzwischen konnte er sich das durchaus leisten.
Denn mit dem Schenken klappte das nicht. Voriges Jahr hatte
er Margit Waismeier, seiner Büroleiterin, anvertraut, dass er sich zum
Geburtstag eine Uhr wünschte. Und dabei ganz subtil einfließen lassen, wie
diese vorzugsweise aussehen sollte.
Was aber hatte er dann von den Mitarbeitern bekommen, mit den
besten Wünschen, verstand sich? Eine urige, durchaus originelle Swatch, sicher
nicht ganz billig und überhaupt nicht geschmacklos. Wenn man diese Art
Zeitmesser mochte. Palinski mochte sie nicht, ganz und gar nicht.
Und dazu noch dieses fürchterliche orangefarbene Uhrband. Es
war, ja, das war es. Jetzt wusste er, was sich aus dem Unterbewusstsein befreit
und eben machtvoll ins Licht der Erinnerung eingetaucht war.
Als Palinski gestern im Zug kurz mit István Lalas gesprochen
hatte, war ihm dessen Armbanduhr aufgefallen. Kein so tolles Stück wie das vom
französischen Kollegen da unten, aber ein solides, altes Stück, eine Omega
›Seamaster‹ mit Datum, Weckfunktion und einem gewissen Sammlerwert.
Kurz danach, als Lalas bereits tot am Häusl gesessen war,
hatte Palinski diese Omega nicht mehr gesehen. Woran er sich allerdings
erinnerte, war eine schrecklich bunte Art Micky-Maus-Watch am Handgelenk des
Verstorbenen. Des Ermordeten war nach dieser Erkenntnis wohl der zutreffendere
Begriff.
Während sich Palinski wie elektrisiert aufgesetzt hatte und
fieberhaft überlegte, wen er jetzt anrufen sollte, hatte Erwin Esslinger, der
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