Schneenockerleklat
wird dann die Verhaftung Sandys und
Burschis veranlassen. Und falls das Geld in der Zwischenzeit nicht vergraben
oder ausgegeben worden ist«, er versuchte ein Lachen, aber niemand außer ihm
selbst schien seinen Scherz lustig zu finden, »bekommt ihr es morgen früh schon
wieder zurück.«
Die klare Situationsanalyse Palinskis hatte eine erstaunliche
Wirkung gezeigt. Durch die bis dahin lethargisch und mutlos dahockende
Verwandtschaft war plötzlich ein Ruck gegangen. Endlich hatte jemand
ausgesprochen, was eigentlich los war, hatte ihnen eine Perspektive gegeben.
Palinski blickte auf die Uhr. Es war bereits Viertel vor
zehn, und er wollte doch noch vor Mitternacht wieder am Semmering sein. Dieses
Hin und Her zwischen Wien und dem Zauberberg, wie sich der Semmering gerne auch
bezeichnen ließ, um sich ein wenig literarisch zu sonnen, nagte nicht nur an
seiner körperlichen Konstitution.
»Wo ist Kollege Fossler?«, wollte er jetzt von Helmbach
wissen.
»Ein privater Termin, der ihm sehr wichtig zu sein
schien!«, der ehemalige Polizist grinste verständnisvoll und kraulte den neben
ihm hockenden Hector hinter den Ohren. Etwas, was das Tier offenbar sehr zu
schätzen wusste, denn es verdrehte vor Wohlbehagen die Augen. »Da habe ich ihm
eben für heute freigegeben. Falls notwendig, kann er aber in einer halben
Stunde wieder gestellt sein!«
Palinski wollte schon etwas Unfreundliches sagen, entschied
sich dann aber dafür, den Mund zu halten. Dieser Tage war er wohl der Letzte,
der sich den Mund darüber zerreißen durfte, wenn jemand neben seinen
offiziellen Aufgaben auch noch private Aspekte im Auge behielt.
»Ist schon gut!«, meinte er versöhnlich. »Wir werden ja
sehen, was der Anruf der Entführer bringen wird. Dumm ist nur, dass ich selbst
dringend zurück auf den Berg muss«, meinte er entschuldigend.
Ein Blick auf die schwere Barockstanduhr an der Wand ließ
Palinski vermuten, dass es bereits sieben Minuten nach 22 Uhr sein musste. Was
gar nicht so falsch war und ein Beweis dafür, dass auch stehen gebliebene
Chronometer zwei Mal am Tag die richtige und einige Male öfters die ungefähre
Zeit anzeigten. Die Kunst lag nur darin, zu wissen, wann bzw. wie ungefähr das
der Fall war.
Er stand auf und holte sich frischen Kaffee aus der Küche.
Dann setzte er sich wieder ans Telefon und starrte es an, ganz so, als ob
dieses deswegen auch nur eine Sekunde früher klingeln würde.
*
Der Mann hinter dem Lenkrad des
Kleintransporters schreckte auf. Seine Armbanduhr verriet ihm, dass er wohl
einige Minuten eingenickt war.
In der ›Casa Blu‹ schien sich etwas zu tun. Die Leuchte über
der Eingangstüre war angegangen. Kurz danach verließen die jungen Leute das
Haus, bestiegen den davor geparkten Kombi und fuhren los.
Nach seinen Berechnungen war jetzt nur noch eine Person im
Inneren. Nämlich der Entführte Albert Abbersyn. Da dieser in seiner
Bewegungsfreiheit eingeschränkt und nach fast zwei Tagen fern von zu Hause
sicher auch körperlich nicht in bester Verfassung war, hatte der Mann im
Kleintransporter keine Bedenken, jetzt vor das Haus zu fahren und es zu
betreten.
Erkannt werden wollte er allerdings nicht, daher zog er sich
seine lustige gelb-rote Pudelmütze tief ins Gesicht, schob den dazu passenden
Schal über den Mund und setzte sich, sicher ist sicher, noch eine dieser
klobigen Skibrillen auf.
Das Haus selbst verfügte im Erdgeschoss neben der Küche und
dem Bad, eigentlich war es bloß ein Waschraum, in den jemand einen alten
Holztrog gestellt hatte, nur über zwei Räume. Daher hatte der Mann auch keine
Schwierigkeiten, den durch breite, selbstklebende Streifen und zusätzlich
mithilfe von Beruhigungsmitteln ruhiggestellten Albert Abbersyn aufzuspüren.
Ehe er sich aber des tief und regelmäßig atmenden, offenbar
schlafenden Packerls annahm, schaffte er Decken, Polster sowie eine
Plastikflasche mit einem strohhalmartigen Mundstück in den Transporter. Dort
richtete er ein unter den Umständen einigermaßen bequemes Lager für nunmehr
seinen Gefangenen her. Kurz darauf war der dunkle Transporter schon wieder
unterwegs. Wohin, dass wusste der Mann hinter dem Steuer noch nicht so genau.
Viele Optionen standen ihm ohnehin nicht zur Verfügung.
Und dank der spontanen Entscheidung, sich den Burschen zu
holen und damit eine Gelegenheit, wie er sie noch nie im seinem Leben gehabt
hatte, zu nutzen, hatte er auch noch keine Zeit
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