Schneenockerleklat
ein Gespräch mit Juri denken, das sie vor
eineinhalb Jahren oder so geführt hatten. Der Russe hatte ihm damals
anvertraut, dass er von 1974 bis zum Fall der Mauer als Kontaktperson des KGB
zur Stasi in Ostberlin tätig gewesen war. In dieser Zeit hatte er offenbar die
Bekanntschaft der heutigen Lady Paulina gemacht.
Als gutem Kopfrechner war Mario aber klar, dass die Sache
nicht von Dauer gewesen sein konnte, denn Andrea Millfish war … Oder konnte es
sein, dass …? Nun, eigentlich ging ihn das ja überhaupt nichts an. Und wer
sagte überhaupt, dass die Beziehung der beiden durch … Da waren eindeutig zu
viele Wenn und Aber im Spiel und alles, was dabei rauskam, reine Spekulation.
Falls er dies wollte, würde ihn Juri sicher einmal aufklären.
Einen neugierigen Blick auf die älteste Millfish-Tochter
konnte Palinski sich aber nicht verkneifen. Also eine Ähnlichkeit war da nicht
unbedingt zu erkennen. Aber jetzt Schluss. Wirklich.
Inzwischen hatten zwei Ober begonnen, den Juroren die
Schneenockerln-Kreationen der einzelnen Teilnehmer zur Bewertung zu servieren.
Sir Peter Millfish, dem das ganze Getue dieses Wiener Russen,
dieses sogenannten Jurypräsidenten, schon die ganze Zeit über auf die Nerven
gegangen war, hatte die letzten Entwicklungen mit besonderer Skepsis verfolgt.
Vor allem die offensichtliche Bekanntschaft zwischen seiner Frau und diesem
furchenscheißenden Tartaren ging ihm arg gegen den Strich.
Er konnte sich noch recht gut erinnern, wie er seinerzeit Paulina
bei einer Operngala Unter den Linden kennengelernt und sich in sie verliebt
hatte.
Er hatte anfangs nicht verstanden, warum sich diese
wunderschöne junge Frau für ihn entschieden hatte. Aber seit wenigen Minuten
hatte er einen Verdacht.
Und falls der zutraf, dann war es wirklich kein Wunder, dass
Andrea ihren beiden jüngeren Schwestern so gut wie überhaupt nicht ähnlich sah.
Er merkte, wie sich in ihm Zorn, Eifersucht und Hilflosigkeit, also eine
teuflische Mischung negativer Gefühle, langsam zu einem explosiven Ganzen
aufbauten.
Jetzt näherte sich ein Ober Sir Peter und stellte
einen Teller mit diesem seltsamen Dessert vor ihn auf den Tisch.
Verdammt, der Kerl stank aus dem Maul wie die Pest. Sir
Millfish blieb heute wirklich nichts erspart. Servicepersonal müsste angehalten
werden, zwischen jedem Gang die Zähne zu putzen oder zumindest kräftig mit
Mundwasser zu spülen.
Ochhh, das war ja unzumutbar. Da verging einem wirklich
jeglicher Appetit. Und wie schamlos dieser Russenarsch mit Paulina turtelte, also
das ging wirklich zu weit.
Wütend sprang Sir Millfish auf und brüllte: »Jetzt ist es
genug, Sie Rüpel! Lassen Sie sofort meine Frau in Ruhe! Und diese blöde
Süßspeise«, er schob den vollen Teller luftig leichter, flaumiger Wiener
Süßspeisenspezialität zornig zur Seite, »die können Sie sich sonst wohin
schieben!«
Das alles von einem echten englischen Lord zu hören und noch
dazu mit astreinem sächsischen Akzent, das versetzte nicht nur Palinski in
einiges Erstaunen.
Pahl-Giacometti dagegen, der den Vorfall genau verfolgt und
auf eine Gelegenheit wie diese nicht zu hoffen gewagt hatte, begrüßte die
Entwicklung der Dinge durchaus.
»Antonio, Antonio, schnell!«, flüsterte er seinem Sekretär
erregt zu. »Bring mir den Teller Schneenockerln, den Sir Peter stehen gelassen
hat. Aber pronto. Und möglichst unauffällig.«
Er zeigte verstohlen auf die verschmähte Köstlichkeit.
Schon wenige Minuten später war der Commendatore am Ziel
seiner Fressgier angelangt. Und nicht nur da.
Denn das von Stefan in den Schlagobers eingeträufelte Gift
wirkte rasch und lautlos. Nach nur wenigen Bissen, die Carlo Montebello
allerdings mehr genoss als alles, was danach sein Leben noch lebenswert machte,
schnaufte er einige Male geräuschvoll durch, griff sich an die Brust und sank
zurück.
»Um Himmels willen, was ist denn los, Karl?«, jammerte Toni.
»Das wird doch nicht schon wieder so ein Kreislaufkollaps sein? Hilfe, ist kein
Arzt hier?«
»Lass nur«, flüsterte der falsche Commendatore. »Ich spüre,
mit mir geht es dem Ende zu. Ich werde sterben, und du, mein Freund, musst mir
noch etwas versprechen. Du musst den Kontrakt erfüllen. E una cosa d’onore,
sai. Du musst ihn morgen töten!«
»Ja, ja, naturalmente«, versicherte Antonio, der in dieser
Situation alles versprochen hätte. »Aber wen soll ich …?«
»Bene, bene«, flüsterte Carlo mit
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