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Schneerose (German Edition)

Schneerose (German Edition)

Titel: Schneerose (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maya Shepherd
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ertönt ein
beängstigendes Knarren.
    Nachdem sie den Steg verlassen haben, befinden sie
sich vor den Trümmern, die einst eine Stadt gewesen sein müssen. Die Sonne
steht bereits tief am Himmel und taucht das Land in einen roten Glanz. Ein
kleiner Junge zieht mit einem halbabgemagerten schwarzen Esel am Strand vorbei.
Der Esel zieht eine kleine Karre mit leiernden Rädern, darauf ist ein Tank aus
zwei Ölfässern. Neugierig aber auch misstrauisch beäugt der Knabe die Fremden.
Als Lia auf ihn zu geht, werden seine Schritte schneller. Er scheint sich vor
ihr zu fürchten. Eilig kramt Lia aus ihrer schwarzen Leinenhose eine
20-Saudi-Rial-Note hervor und hält sie hoch. „Kannst du uns helfen?“, ruft sie
vorsichtig. Zweifelnd betrachtet sie der Junge, bleibt jetzt aber stehen. Sie
läuft ihm entgegen.
    „Wir brauchen einen Schlafplatz“, erklärt sie ihm,
doch das Kind scheint keines ihrer Worte zu verstehen. Seine Augen fixieren die
zwanzig Saudi Rial, es ist mehr Geld als er sonst in einem Monat verdient. Lia
legt ihre Hände aufeinander und schiebt diese unter ihren Kopf, dazu schließt
sie die Augen und hofft, dass der Junge ihre Zeichensprache versteht. Eifrig
nickt er nun und läuft los. Er winkt Lia und den anderen als Zeichen, dass sie
ihm folgen sollen.
    Es gibt keine festen Wege oder Straßen, überall ist
derselbe rötliche Sand, der bei jedem Schritt aufweht und sich auf die Kleidung
legt. Lias ehemals schwarze Leinenhose hat bald eine ähnliche Farbe wie der
Boden, über den sie laufen. Die meisten Häuser sind eingestürzt und das leise
Fiepen von Fledermäusen oder anderen Tieren dringt aus ihrem Inneren. Auf den
Ruinen sitzen Schwärme von Raben. Teilweise liegen die Kadaver von verdursteten
Eseln oder Dromedaren zwischen dem ganzen Schutt. Fliegen schwirren um das
verwesende Fleisch, während die Raben sich die letzten Reste Fleisch von den
Knochen reißen. Ein süßlicher fauliger Geruch erfüllt die Luft, der Lia fast
würgen lässt. Ihr Vater würde die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, wenn er
wüsste wo es sie hinverschlagen hat. Für so eine Art von Reise hätte er nie
sein Einverständnis gegeben.
    Nach einem kurzen Fußmarsch erreichen sie eine Art
Siedlung. Es sind alles einstöckige Häuser, Bretterbuden oder Zelte, aus deren
Inneren mehr Menschen hervorschauen, als für Lias Empfinden darin Platz hätten.
Ein ungutes Gefühl überkommt sie. Sie sind nicht nur fremd aufgrund ihrer
hellen Hautfarbe, sondern ihr ganzes Wesen unterscheidet sie von diesen einfach
lebenden Menschen. Obwohl sie auf derselben Erdkugel existieren ist es als
befänden sie sich in einer völlig fremden Welt. Der Junge stockt vor einer
kleinen Hütte und deutet in das Innere. Die Hütte besitzt weder einen Boden,
noch ein richtiges Dach. Die Bettgestelle aus Metall stehen unter freiem Himmel
und sind die einzigen Möbelstücke in dem kleinen Zimmer. Eine leere verbeulte
Schüssel steht in einer Ecke. Es gibt kein fließendes Wasser. Aber es ist ein
Dach über dem Kopf, jedenfalls teilweise. Lia drückt dem Jungen die zwanzig
Saudi-Rial in die Hand. Er zieht den Geldschein auseinander und hält ihn gegen
das Licht der untergehenden Sonne. Misstrauisch betrachtet er ihn von allen
Seiten, doch findet er keine Hinweise auf eine Fälschung. Ein breites Grinsen
breitet sich über sein Gesicht aus. Schnell eilt er mit seinem Esel davon. Er
scheint sein Glück kaum fassen zu können und zu befürchten, dass die Fremden
ihm den Schein wieder entreißen.
    Claudia und Chasity ziehen sich direkt in die
hinterste Ecke des kleinen Zimmers zurück, dort wo es am meisten Schatten gibt.
Ihre schwarzen Kutten und Sonnenbrillen können sie jedoch immer noch nicht
abnehmen. Sie wirken wie schwarze Gespenster.
    Lindsay lässt sich erschöpft auf eines der Betten
sinken, das sofort ein lautes Quietschen von sich gibt. Ein Kreischen dringt
aus ihrer Kehle und sie springt wieder auf. Mit zittrigen Fingern deutet sie
auf eine große Kakerlake, die über das Bett huscht. „Igitt! Ich kann hier nicht
eine Sekunde länger bleiben!“, beschwert sie sich aufgebracht und hält
schützend die Arme um sich. Der Ekel ist ihr förmlich ins Gesicht geschrieben.
    „Du wirst hier nichts besseres finden!“, erklärt ihr
Tru schulterzuckend. Ihr scheint das Ungeziefer weniger auszumachen. Mit einer
einzigen Handbewegung fegt sie das Tier von dem Bett und legt sich auf die
Matratze.
    „Sie werden dich schon nicht auffressen. Die Tiere
haben vor

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