Schneerose (German Edition)
selbst nicht einmal verzeihen kann?
Sie verliert den Boden unter ihren Füßen und stürzt
auf den sandigen Grund. Ein tiefer Schmerzenslaut dringt aus ihrer Kehle. Sie
vergräbt ihr Gesicht hinter ihren Händen.
Zärtlich und tröstend streicht ihr eine Hand über
das noch feuchte Haar. Erschrocken hebt Lia den Blick und schaut in Augen, die
so grün leuchten wie ihre eigenen. Das Gesicht der Frau spiegelt Mitgefühl
wieder. Ihre Lippen sind zu einem gütigen Lächeln verzogen. Um ihren schlanken
Körper legen sich schwarze Schatten. Wie Nebel umschließen sie die wunderschöne
Frau. Ihr Haar erstrahlt noch heller als der Mond am Himmel. Es ist feuerrot.
Sie reicht Lia ihre weichen Hände und zieht sie empor.
„Du hast mich gefunden, meine Tochter.“, flüstert
sie ihr mit süßer Stimme entgegen.
„Mutter?“, schluchzt Lia ungläubig und Lilith
streicht ihr die Tränen aus dem Gesicht.
„Du bist meine erste Tochter, du hast mich erweckt.
Ich habe Jahrtausende auf dich gewartet und endlich sind wir vereint. Doch du
bist schwach. Mein Blut wird dich heilen.“
Die Hand, die Lias Wange streichelte, erstarrt und
Lilith Handgelenk legt sich vor Lias Lippen.
„Trink von mir und all dein Schmerz und dein Kummer
werden vergessen sein.“
Für Lia gibt es keine Hoffnung mehr in dieser Welt.
Es kann nicht schlimmer werden, sie hat das Ende erreicht und so schlagen sich
ihre spitzen Zähne in das angebotene Handgelenk ihrer Mutter. Ihr Blut ist
stark, wie roter Nebel breitet es sich in ihrem Kopf aus und lässt sie alles
vergessen. Schwärze umhüllt sie. Nur die smaragdgrünen Augen ihrer Mutter blicken
ihr weiterhin entgegen.
Der Schmerz beginnt in ihrem Rücken und breitet sich
über ihren gesamten Körper aus. Es ist wie Feuer, das ihre Haut verbrennt und
ihre Knochen verformt. Die Luft weicht zischend aus ihren Lungen.
Tausend Nadelstiche durchdringen ihre Haut. Sie
wälzt sich schreiend vor Qual im Sand auf und ab, rauft und reißt sich an den
Haaren. Sie spuckt das Blut ihrer Mutter vor die Füße, erst da lässt der
Schmerz wieder nach. Doch es ist zu spät. Taumelnd erhebt sich Lia. Ihre Füße
sind die eines Monsters. Anstatt Zehen hat sie lange, scharfe Krallen. Aus
ihrem Rücken ragen gigantische Flügel, wie die einer Fledermaus.
Wäre sie doch nur gestorben. Selbst der Tod wäre
besser als ein Leben als Ungeheuer. Leblos blickt sie ihrer Mutter entgegen.
„Endlich ist mein Inneres nach außen gekehrt. Du
hast mich zu einem Monster gemacht.“
Liliths gütiges Lächeln erstirbt. Die Kälte in der
Stimme ihrer Tochter schneidet tiefer als jede Klinge.
Ein Grollen zieht über den Himmel, bevor ein Blitz
mit lautem Knall vom Himmel fährt. Für einen Moment ist das Land in grelles
Licht getaucht, wo zuvor nur Dunkelheit herrschte. Die ersten Regentropfen
fallen vom Himmel und werden bereits Sekunden später zu einem kräftigen
Schauer. Das Wasser schießt auf den staubtrockenen Lehmboden, der zu
ausgetrocknet ist um die Massen in sich aufnehmen zu können. Wie ein Strom
fließt es die plattgetretenen Wege entlang und bringt Lindsay ins Stolpern.
Ihre Füße verlieren immer wieder den Halt, während sie stetig den Weg zurück in
das Dorf rennt, indem sie nicht eine Sekunde länger bleiben will. Ihre einzige
Lichtquelle sind die Sterne und die Blitze, die vom Himmel fahren. Hinter sich
spürt sie deutlich ihren Verfolger. Trotz des Donners kann sie seinen Atem und
seine Schritte hören. Je länger sie laufen, umso näher kommt er ihr.
Das Dorf ist bereits in Sichtweite, da rutscht
Lindsay auf einem Stück Folie aus und schlägt der Länge nach zu Boden.
Schmutziges Regenwasser spritzt ihr ins Gesicht und den vor Schreck geöffneten
Mund. Sie würgt und spuckt, während sich der Regen mit ihren Tränen vermischt.
Ihre Handflächen brennen, doch es ist zu dunkel, um Verletzungen erkennen zu
können. Am liebsten würde sie einfach hier im Nirgendwo liegen bleiben und sich
dem Selbstmitleid hingeben, doch sie braucht sich nicht umzusehen, um zu
wissen, dass Mike ihren Sturz ausgenutzt hat. Er steht jetzt direkt hinter ihr.
Als seine Hand mit den für einen Mann ungewöhnlich schlanken Fingern ihre
Schulter berührt, fährt sie zusammen als hätte einer der Blitze sie getroffen.
Sie dreht sich herum und rutscht auf der Folie einen ganzen Meter weit von Mike
weg. Er ist nur noch ein schwarzer Schatten, der sich vor ihr aufgebaut hat.
Hinter ihm leuchten die Sterne und Lindsay bezweifelt, dass
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