Schneerose (German Edition)
dir viel mehr Angst wie du vor ihnen.“, fügt sie amüsiert hinzu. Doch
Lindsay verzieht nur angewidert den Mund.
Mike zieht seine khakigrüne Regenjacke aus und wirft
sie über das Laken.
„Hier, du kannst dich auf meine Jacke setzen.“,
bietet er Lindsay hilfsbereit an und erntet dafür doch tatsächlich ein scheues
Lächeln, bevor sie sein Angebot dankend annimmt.
Lias Blick bleibt an Mikes freien Armen haften. Sein
Oberkörper drückt sich durch das verschwitzte weiße T-Shirt. Seine Haare kleben
unansehnlich an seiner Stirn. Trotzdem überkommt sie eine Sehnsucht, die sie
sich nicht erklären kann.
„Wir sind schwach...“ , seufzt die Stimme in ihrem Kopf,
die sie bereits so lange schon verbannen konnte. Anstatt sie wie sonst zu
ignorieren, lässt sie es nun aber zu und antwortet ihr in Gedanken: „Wo
finde ich dich?“
Doch eine Antwort erhält sie nicht.
Mittlerweile ist die Sonne untergegangen und eine
leichte Brise vom Meer heraufgezogen. Aber es ist immer noch so heiß, dass die
Menschen bei jeder noch so kleinen Anstrengung ins Schwitzen ausbrechen. Lia
und Mike haben sich freiwillig dazu bereit erklärt mit der verbeulten
Blechwanne Wasser vom Meer zu holen. Sie werden es jedoch abkochen müssen,
bevor sie es trinken können, da es Salzwasser ist und die Schüssel nicht gerade
hygienisch rein wirkt.
Während Mike mit Steinen und dünnen Ästen ein
Lagerfeuer entfacht, watet Lia mit den Füßen in das einigermaßen kühle Wasser.
Sie hat ihre Hose bis zu den Knien hochgewickelt, doch ihr ganzer Körper ist
von der vierzehnstündigen Reise verschwitzt und fühlt sich klebrig an. Sie
riecht bereits ihren eigenen Schweiß und sehnt sich danach einfach in den
Wellen unterzutauchen, doch wagt sie es nicht sich vor Mike auszuziehen. Sie
kennen sich zwar seitdem sie Kinder sind und als sie jünger waren haben sie
auch die Sommer nackt im Planschbecken verbracht, doch das liegt bereits über
zehn Jahre zurück.
Gleichzeitig hat sie das Gefühl diese Szene bereits
einmal erlebt zu haben, fast wie ein Déjá-vu. Das Wasser wirkt so befreiend und
reinigend, so als könnte sie damit allen Schmerz und Kummer von sich waschen.
„Hier hat es begonnen...“ , flüstert ihr Lilith zu und lässt
vor ihrem inneren Auge ein Bild aufblitzen. Es zeigt eine Frau, deren Haut
verbrannt ist. Sie ist von Dreck und Blut übersäht. Ihre Lippen sind vor Durst
gesprungen. Sie steht genau an derselben Stelle wie Lia jetzt. Ihr ganzer
Körper, samt ihrer staubig roten Haare taucht unter Wasser. Als sie mit einem
Schwung an die Oberfläche zurückkehrt, strahlt sie vor Schönheit. Sie wurde
wiedergeboren und ihre Augen leuchten Lia genauso Smaragdgrün entgegen wie ihre
eigenen.
Plötzlich fühlt es sich richtig an, dass sie sich
die Kleider vom Körper streift und am Strand zurücklässt. Splitternackt geht
sie immer tiefer in das kühle Nass, das erst ihre Knie, dann ihre Oberschenkel,
ihren Bauch und schließlich ihre Brust umspült. Es wäscht den Schweiß und den
Staub der letzten Tage davon und erfrischt. Lia holt tief Luft und taucht
unter. Das Wasser schwappt über ihr Gesicht und ihre Haare nehmen die kühle
Nässe auf. Wie Seide legen sie sich glatt auf ihren Rücken als sie wiederauftaucht.
Die Welt wirkt verändert. Wohin sie auch blickt umgibt sie blutrotes Wasser.
Die Sterne leuchten am violetten Himmel. Die Sehnsucht in ihrer Brust ist
unerträglich. Orlando.
Ohne Scheu steigt sie aus dem Wasser. Mikes Blick
liegt auf ihr, doch als sie ihm direkt gegenübersteht, senkt er verlegen den
Kopf und hält ihr die Kleidung entgegen. Das Lagerfeuer brennt bereits und
entsendet seine Rauchfahne in den Himmel. Es knistert und erfüllt die Luft von
dem Geruch nach Holz und Feuer. Als Lia die Kleidung entgegennimmt, dreht er
ihr ganz Gentleman den Rücken zu. Ohne Eile schlüpft sie in ihre Unterwäsche,
die Leinenhose und das braune Top.
Mike dreht sich schüchtern wieder herum und stellt
die mit Salzwasser gefüllte Blechwanne auf das Feuer. Er hält sich absichtlich
auf Abstand zu Lia. Ihre Nähe bereitet ihm Unbehagen, doch Lia lässt sich genau
neben ihm nieder.
Ihre Finger streichen über seine nackten Unterarme
und lassen ihm die feinen Härchen zu Berge stehen. Er kann nicht abstreiten,
dass er ihre Berührungen nicht genießt, doch machen sie ihm auch Angst.
„Ist es nicht eine wunderschöne Nacht?“, haucht sie
ihm nun so dicht ans Ohr, dass ein Schauer von seinem Nacken zu seinem
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