Schneerose (German Edition)
ihre immerwährende
Liebe besiegelt.
Wie ein Mantel legt sich die Finsternis vor die
Augen der Vampire, verbirgt sie voreinander und streckt die kalten Klauen der
Angst nach ihnen aus. Nicht einmal der helle Schein eines Streichholzes
durchbricht das blanke Nichts des endlosen Tunnels. Sie haben alle jegliches
Zeitgefühl verloren. Keiner von ihnen könnte sagen, ob sie sich nun eine
Stunde, einen Tag oder womöglich eine Woche unter der Erde befinden. Ihre
Kehlen sind trocken wie Sandpapier und jeder Schritt schmerzt in den Knochen.
Kain hat den Tunnel mit seinen eigenen Händen
gegraben. Sein Schweiß, sein Blut und seine Tränen kleben an den schmalen
Wänden. Es hat ihn Jahrtausende gekostet, doch für einen Unsterblichen spielt
Zeit keine Rolle. In seinem Kopf begleitete ihn jede Stunde, jede Minuten, ja
sogar jede Sekunde IHR Bild. Als er sie vor Jahrtausenden verschmähte, schwor
sie ihm Rache. Die ersten Jahre lachte er sie nur aus, nahm ihre Drohung nicht
ernst und hielt sich für unbesiegbar. Die darauf folgenden Jahrzehnte sucht er
nach ihr, ohne je auch nur in ihre Nähe zu kommen. Er war des Wartens müde und
wollte nicht länger das Unvermeidliche herauszögern. Lilith sollte um ihr Leben
betteln, sie sollte ihm Treue schwören und um Vergebung anwinseln. Als er sie
nicht finden konnte, gab er seine Suche auf und versuchte sich einzureden, dass
sie in der Wüste verdurstet sei. Jahrhunderte lang schlief er mit mehr Frauen
als es Sterne am Himmel gibt. Ihre Körper sollten Liliths Gesicht aus seinen
Gedanken radieren, er wollte nicht länger in seinen Träumen von ihr, wie von
einem bösen Geist, heimgesucht werden. Doch egal wie schön die Frauen waren,
jede Nacht sah er nur Lilith vor sich. Sie hatte ihn wahrlich verflucht, anders
als sie es geplant hatte. Weder Frauen, Alkohol, noch Drogen konnten ihn sie
vergessen lassen. Verzweifelt begann er zu allen bekannten und allen
unbekannten Göttern zu beten sie ihm zurückzugeben. Er wollte sich vor ihr in
den Dreck schmeißen und sie um Verzeihung bitten. Die Füße wollte er ihr
Küssen. Doch nichts geschah. Er verschwand aus der Welt und zog sich zurück in
die Höhle, in der Lilith ihn vor so vielen Jahren gerettet hatte. Dort wollte
er auf sie warten. Sein Leben war ohne sie nichts mehr wert, völlig
bedeutungslos.
Er wartete ein ganzes Jahrtausend auf sie, ernährte
sich von den Ratten und Mäusen, die sich in die Höhle verirrten. Dann begann er
den Tunnel zu graben. Er grub sich durch die halbe Welt und als er in der
Antarktis ankam, wo es so kalt war, dass selbst der eigene Atem gefriert, hörte
er endlich wieder IHRE Stimme. Die Worte, die sie in seinen Kopf flüsterte,
waren voll Hass, aber gleichzeitig voller Leben. „Die Rache ist mein.“
Er konnte sie vor sich sehen mit vor Wut
zusammengeballten Fäusten und am ganzen Körper zitternd. Ihr Haar so rot wie
ein Feuer, das die ganze Welt in Schutt und Asche zerlegen könnte. Ihre Wut
entfachte neue Hoffnung in ihm. Sie würde ihre Rache bekommen. Sie würde alles
Leben zerstören, das er erschaffen hatte. Sie würde ganze Städte dem Erdboden
gleichmachen. Aber am Ende wären nur noch sie beide übrig. Lilith kann ihn
genauso wenig zerstören wie er sie. Es gibt nichts, was sie vernichten könnte.
Sie werden wieder vereint sein, ob sie nun will oder nicht. Ihre Leben sind
aneinander gebunden, wie die Erde an den Himmel.
Ein warmer Windhauch umspielt seine Wangen und
verfängt sich in seinem schwarzen Haar. Schnuppernd hält er seine Nase in die
Höhe und bleibt stehen. Nemesis kalte Hand legt sich auf seinen Arm und lässt
ihm die Haare zu Berge stehen. Er erträgt die Kälte der Vampire nicht länger.
Der Duft von vertrocknetem Gras und ausgezehrtem Sandboden steigt ihm in die
Nase. So fein, dass er sich nicht sicher ist, ob ihm seine Sehnsucht vielleicht
nur einen Streich spielt.
„Gott und Vater, warum bleibt Ihr stehen?“ Ihre
Unterwürfigkeit widert ihn an. Als ihre Augen vor Hass glühten, während er
diesem Nichtsnutz sich selbst die Zunge aus dem Hals schneiden ließ, war sie
ihm lieber. Ihr fehlt Liliths Feuer. Sie ist nicht mal ein Schatten ihrer Energie.
„Schweig still, wir sind bald da.“, erwidert er, wie
etliche Male davor. Seine Füße setzen sich geräuschlos fort und die Dunkelheit
lichtet sich. Erst registriert es keiner, doch dann bemerken es plötzlich alle
auf einmal. Sie können nicht nur die eigene Hand vor Augen wieder erkennen,
sondern auch
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