Schneerose (German Edition)
sich nun befinden,
alleine Mary zu verdanken haben. Hätte das vermaledeite Gör doch bloß nicht Lia
gerettet. Doch der Gedanke führt sie geradewegs zu der eigentlichen Ursacher:
Orlando. Was musste der Schönling sich ausgerechnet in Lia verlieben? Hätte er
sich nicht irgendeine Andere suchen können? Auch Lia wäre ohne ihn besser dran
gewesen, denn jetzt wo sie das Mädchen kannte, kann sie ihr nicht mehr den Tod
wünschen.
Lilith hat ein Gespür für Gefühle und Schwingungen,
deshalb bemerkt sie Claudias Zorn sofort.
„Kain wusste von dem Fluch und trotzdem hielt er es
nie für nötig seine Kinder zu warnen, ich frage mich bloß warum...?“
Sie deutet Claudias Wut falsch und versucht sie
durch ihre Worte gegen ihren Urvater aufzustacheln. Doch Chasity kennt aus
ihren Träumen Kains wahre Gefühle, jedenfalls die, die er vor Jahrtausenden für
Lilith hegte. Gefühle, die so stark sind, sterben nie aus.
„Verehrte Königin, ich glaube Kain hat keinem ein
Wort gesagt, damit es genau zu dieser Situation kommt.“
Lilith legt ihre glatte und makellose Stirn in
Falten. „Das ergibt keinen Sinn. Wenn er sich selbst auslöschen wollte,
bräuchte er sich nur den Sonnenaufgang ansehen. Außerdem liebt er sein
armseliges unbedeutendes Leben viel zu sehr.“
„Ein Leben ohne Liebe ist wertlos. Jahrtausende ohne
eine Partnerin an seiner Seite können sehr einsam sein. Er verspürt Sehnsucht
nach Euch.“
Blitze schießen aus Liliths Augen in Chasitys
Richtung. Ihr ganzer Körper bebt vor Hass.
„Flüstert er dir diese Lügen ins Ohr?!“ Ihre Stimme
ist schrill und laut. Sie könnte Glas zum Springen bringen und schmerzt in den
Ohren.
Chasity schüttelt eilig den Kopf. „Nein, als ich dem
Tode nahe war, träumte ich seine Träume. Sie handelten alle von Euch,
Schöpferin.“
„Sein Leben lang hat er mich mit einer Hure nach der
anderen betrogen. Er weiß nicht was Einsamkeit bedeutet.“ So schnell die Wut
gekommen ist, so schnell ebbt sie auch wieder ab, zurück bleiben verletzter
Stolz und Eifersucht.
„Sie kamen und gingen wie Eintagsfliegen. Es gibt
keine Frau, weder lebendig noch tot, die mit Euch vergleichbar wäre und das
musste auch Kain einsehen. Er bereut, meine Königin, sein Herz sehnt sich nach
dem Euren.“, beteuert Chasity aufgebracht, doch Lilith ist ihre Worte leid. Zu
tief sitzt der Schmerz von Kains Verrat. Sie hat genug gehört. Mit erhobener Hand
gebietet sie Chasitys Worten Einhalt.
„Das reicht! Ich schenke Euren ehrlichen Absichten
Glauben. Im Kampf auf dem Tafelberg möchte ich Euch an meiner Seite wissen. Was
könnte schwächender sein als zu sehen wie sich die eigene Familie gegen einen
stellt?! Ruht Euch diese Nacht aus, im Morgengrauen werden wir aufbrechen. Ihr
werdet Euch umstellen müssen, wenn Ihr mir dienen wollt. Meine Kinder sind
weder an Licht noch an Schatten gebunden.“
Lilith hat Recht. Je länger sie mit Lia und den
anderen zusammen sind, umso mehr verschiebt sich ihr Biorhythmus. Normalerweise
ist tagsüber ihre Schlafenszeit, doch die letzten Wochen nutzten sie die Tage
zum Reisen und die Nächte zum Schlafen. Auch wenn Claudia und Chasity sich an
diese Umstellung gewöhnen könnten, so könnten sie sich auf Dauer nie an die
stechende Sonne gewöhnen. Unter den vielen Kutten zerfallen sie zwar nicht zu
Asche und Staub, doch schmerzt jeder Blick und jede Bewegung. Ihre Haut brennt
und fühlt sich bis zum Zerreißen gespannt an.
Lilith scheint das zu wissen und zeigt sich ihnen
gegenüber erstaunlich gütig und gnädig. Sie führt die beiden Vampire durch die
verwinkelten Höhlensysteme des Felsen in eine ihrer persönlichen Kammern. Ein
rot schimmernder Vorhang weht vor dem Eingang einer Höhle. Dahinter verbirgt
sich eine dampfende heiße Quelle. Das Wasser sprudelt und blubbert. Rund um die
Quelle sind weiße Stumpfkerzen aufgestellt, ihr Flammen zucken bei jedem noch
so kleinen Luftzug. Auf einem goldenen Tischchen befinden sich eine gläserne
Karaffe und zwei verzierte Kristallgläser. Mit einem ihrer langen Nägel ritzt
sich Lilith die Handinnenfläche ihrer linken Hand auf und presst mit der Faust
mehrere Bluttropfen in die beiden Gläser. Kaum dass sie die Faust löst,
verschließt sich der Schnitt wieder von selbst. Sie hält Claudia und Chasity
die Becher entgegen.
„Wisset, dass ich eine Mutter bin. Wie jede Mutter,
trage auch ich Liebe in mir. Meine Liebe ist gütig und rein und nicht
beherrscht von Habgier und Wolllust wie die Eures Vaters.
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