Schneerose (German Edition)
zurückgekämmt und nur seine Kotletten
erstrahlen in vornehmem Grau. Fragend blickt er ihm entgegen. Ihr Vater?
„Guten Abend, Sir. Ist ihre Tochter Zuhause?“, fragt Orlando
einfach auf gut Glück. Verwundert legt der Mann die Stirn in Falten.
„Liandra?“ Bis heute kannte er ihren Namen nicht und so
nickt er einfach nur. Der Mann verzieht das Gesicht, meint jedoch: „Sie kommt
gleich runter“, bevor er Orlando unfreundlich die Tür vor der Nase zuknallt.
Sie scheint nicht oft Besuch zu bekommen und ihr Vater ist offensichtlich
schlau genug, um zu wissen, dass man Fremde nicht einfach ins Haus bittet oder
sie vor geöffneter Türe stehen lässt, wenn man so wohlhabend ist wie er. Ein
Anwesen in der Manor Road kann sich nicht jeder leisten.
Nervös dreht er der Tür den Rücken zu und blickt in den Sternen
bedeckten Himmel. Liandra... Ganz anders als er erwartet hätte. Er hatte
an etwas Verruchteres gedacht. Liandra klingt melodisch und ungewöhnlich
vertraut. Er hat den Namen noch nie gehört, aber so hätte auch gut ein Mädchen
aus seiner Zeit heißen können.
Leise, so leise, dass er es nicht hört, öffnet sich die Tür.
„Du?“, ertönt die zarte Stimme des Mädchens, welches ihn auf
dem Baum entdeckt hatte. Ertappt fährt er zu ihr herum. Ihre Haare trägt sie in
einem strengen Pferdeschwanz, dazu einen schwarzen, viel zu weiten
Kapuzenpullover und eine hellgraue Jogginghose. Aber ihre Augen heben sich aus
ihrem Gesicht hell und strahlend hervor, auch wenn ein trauriger Ausdruck in
ihnen liegt. Es ist jedoch nicht das kalte Grün von Smaragden, wie er dachte,
sondern eher warm wie eine Sommerwiese.
„Du erinnerst dich an mich?“
Sie zieht die Tür hinter sich zu. „Sollte ich mich nicht
erinnern?“
‚Nein, solltest du eigentlich nicht’ , denkt Orlando sich, doch sagen tut er stattdessen: „Wollen
wir spazieren gehen?“
Verwundert starrt ihn Lia an. „Warum?“
„Warum nicht?“, entgegnet er ihr nur und läuft bereits
langsam in Richtung seines Autos, ohne auf eine Antwort von ihr zu warten. Der
Kies der Auffahrt knirscht unter seinen Füßen. Als er ihre Schritte den seinen
nicht folgen hört, dreht er sich nach ihr um, doch da steht sie bereits neben
ihm. Sie scheint wie eine Feder über den Boden zu gleiten, ohne ihn auch nur
mit der Zehenspitze zu berühren. Völlig geräuschlos ist ihr Gang.
Sie bleiben vor seinem roten Audi R8 GT stehen und Orlando
hält ihr stolz und ganz Gentleman die Tür zum Beifahrersitz auf. Missbilligend
hebt Liandra eine Augenbraue und blickt ihn irgendwie enttäuscht an. So eine
Reaktion ist er auf seinen Sportwagen nicht gewöhnt, schon gar nicht von einer
Frau. Normalerweise staunen sie mit offenem Mund und kriegen sich kaum ein vor
Begeisterung.
„Was ist? Gefällt dir mein Auto nicht?“
„Autos interessieren mich nicht so...“, wehrt sie ab und
lässt sich in die dunklen Ledersitze gleiten, wobei ihre Augen unruhig die
Umgebung absuchen, so als hätte sie Angst beobachtet zu werden. Frustriert
schließt Orlando ihre Tür und setzt sich ans Steuer. Das fängt ja schon mal gut
an.
„Wohin fahren wir?“
„An den Strand?“, schlägt Orlando ihr vor und erntet dafür
nur einen misstrauischen Blick.
„Im Winter?“
„Na und? Das ist doch die Vergnügungsmeile, gehen da junge
Menschen nicht normalerweise hin?“
„Kann schon sein. Ich frage mich nur, was du von mir
willst.“ Ihre Stimme und auch ihr Blick sind scheu. Sie mag keine Spiele, ganz
im Gegensatz zu der Frau, in die sie sich nachts in den Clubs verwandelt.
Misstrauen ist ihr treuer Begleiter.
„Ich will dich einfach nur etwas besser
kennen lernen“, gibt Orlando zu, als sie aus der Einfahrt fahren und über die
Manor Road in Richtung South Bay am Hafen vorbei steuern. Die Schiffe sind mit
bunten Lichterketten geschmückt und große Straßenlaternen erleuchten das
Gelände, auf dem die letzten spärlichen Fischfänge des Tages verladen werden.
Die Straßen sind mit grünen Weihnachtsgirlanden geschmückt. Es ist gerade mal
20 Uhr, für Orlando sehr früh und nur im Winter möglich.
Während der Fahrt breitet sich eine
bedrückende Stille aus und er bemerkt wie Liandra ständig ihre Hände unruhig
knetet. Sie halten auf einem Parkplatz, von dem aus man den ganzen Strand
überblicken kann. Der Scarborough Spa Komplex liegt hell erleuchtet unter
ihnen. Die Farben der Beleuchtung wechseln von rot, zu grün, zu blau, zu gelb
und dann wieder zu rot. Leise Musik dringt an
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