Schneerose (German Edition)

absolut nichts zurück, sondern spricht
es gerade so aus wie sie es in diesem Moment empfindet. Eigentlich hat er noch
nie jemanden wie sie getroffen und das obwohl er nun wirklich schon lange auf
der Erde verweilt. Wie automatisch legt sich seine kalte Hand auf ihre bebende
Schulter.
    „Hat dir der Film denn gefallen?“
    Erstaunt blickt sie ihm aus ihren großen
Augen entgegen. Ihr Blick hängt an seinen Lippen, voller Unverständnis, aber
auch Sehnsucht. Unzählige Male war er einem Mädchen schon körperlich so nah,
doch noch nie hat eine den Widerstreit an Gefühlen bei ihm ausgelöst wie sie.
Fast scheint es ihm als würde er sie heute zum ersten Mal sehen, denn sie ist
weder so sexy, noch so verführerisch wie die Frau, als die er sie kennengelernt
hat. Doch trotzdem hat sie etwas Unbeschreibliches an sich, was ihn magisch
anzieht. Denn dieses Mal reagiert nicht sein Körper, sondern sein Herz, welches
er solange strikt missachtet hat. Diese Veränderung beunruhigt ihn. Eilig löst
er seine Hand von ihrer Schulter, als hätte er sich verbrannt, und läuft weiter
als wäre nichts gewesen. Wollte er sie gerade wirklich küssen? Was ist denn nur
los? So ein verschüchtertes Ding ist doch gar nicht sein Beuteschema. Was will
er mit ihr? Solange sie so ist, kann er ja nicht mal Spaß mit ihr haben und was
sonst sollte er von ihr wollen? Er ist nicht der Typ für Beziehungen und schon
gar nicht mit Menschen. Das kann doch nur übel ausgehen.
    Nach wenigen Metern dringt plötzlich erneut
Musik über den leeren Strand an ihre Ohren. Es ist das Gedudel, wie es sonst
nur auf einem Jahrmarkt herrscht und ein bunter Lichtfleck erscheint am
Horizont. Neugierig steuern sie darauf zu und der leuchtende Klecks verwandelt
sich in ein altmodisches Karussell mit farbenfrohen Pferden bestückt. Die
Lichter strahlen in rot und grün, während aus den Lautsprechern „Dream a little
dream of me“ von „The Mamas and The Papas“ schallt.
    Zum ersten Mal an diesem Abend entdeckt
Orlando so etwas wie ein Lächeln auf Liandras Lippen. Staunend betrachtet sie
das sich drehende Karussell mit Augen so groß, wie die eines Kindes. Sie ist so
schön, wenn sie glücklich ist. Ohne dass sie es bemerkt, kauft er zwei Karten
bei dem Verkäufer, der schon halb auf seinem Verkaufspult eingeschlafen ist.
    „Bin ein paar Tage zu früh gekommen, ist
wegen des Weihnachtsmarkts“, murmelt er als Erklärung, wobei er ein Gähnen
unterdrücken muss.
    Orlando tritt hinter Liandra und hält ihr
die beiden Fahrkarten vor die Nase.
    „Ich wette du bist schon etliche Male mit
dem Karussell gefahren. Wusstest du, dass es hier steht?“
    Schnell schüttelt sie den Kopf, ohne den
Blick von den bunten Lichtern abzuwenden. „Ich bin nicht oft am Strand.“
    „Auch als Kind nicht?“
    „Nein, ich bin noch nie Karussell
gefahren.“
    Das überrascht ihn nun doch. „Dann wird es
aber Zeit!“, ruft er aus und springt auf das sich nun langsamer drehende
Karussell. An einer der Stangen sich festhaltend, streckt er ihr wieder seine
Hand entgegen. Dieses mal greift sie zu und lässt sich von ihm hinaufziehen.
Ihre Hände sind im Vergleich zu seinen so heiß wie Feuer. Ein Ruck fährt durch
seinen gesamten Körper und lässt sämtliche Haare seines Körpers sich
aufstellen. Es beginnt in seinem Nacken zu kribbeln und er kann ihr nur wie
erstarrt nachblicken, als sie lachend wie ein kleines Kind durch das Karussell
läuft. Ihr blondes Haar weht im kalten Wind und trägt ihren süßen Erdbeerduft
zu ihm. Schnell setzt er sich in Bewegung und rennt ihr hinterher. Sie lassen
sich auf zwei der Pferde nieder, die im Rhythmus der Musik auf und ab gleiten.
    Liandra streckt ihre Hände aus und gleitet
mit den Fingern durch die kalte Luft. Ihre Wangen erstrahlen rosa und ihr
blondes Haar weht ihr ins Gesicht. Sie schließt die Augen und beginnt aus
vollem Hals zu lachen. Orlando kann nicht anders als in ihr Lachen einzufallen.
Es ist so rein und ehrlich, dass es ihn fast im Herzen schmerzt. Liandra ist
bezaubernd. Sie hat ihn in ihren Bann gezogen und lässt ihn alles vergessen. Er
ist plötzlich nicht mehr der jahrhundertealte Vampir, sondern nur noch ein
verliebter achtzehnjähriger Junge.
    Sie halten sich während der Fahrt an den
Händen und taumeln schließlich ganz berauscht von dem Karussell. Im Spaß lässt
er sie eine Pirouette drehen und tanzt den Song mit ihr zu Ende auf einer
unsichtbaren Tanzfläche. Erst als die Musik verstummt, verschwindet das Lachen
von