Schneerose (German Edition)
zehnmeterweiten
Sprung einfing. Es ist unmöglich einem Menschen solch ein Verhalten logisch zu
erklären. Orlando hat die wichtigste aller Regeln gebrochen und das nur für ein
bisschen Spaß, mit einer Frau, die ihn nicht mal wollte. Geflüchtet ist sie vor
ihm. Am liebsten hätte sie eingegriffen und wäre dem armen Ding zur Hilfe
geeilt. Auch wenn sie Menschen nicht sonderlich schätzt, so hat es doch keine
Frau verdient sich von einem Mann vergewaltigen lassen zu müssen, vor allem
wenn er so stark ist wie Orlando und sie keine Chance hat. Nie im Leben hätte
sie sich träumen lassen, dass Orlando zu so einer grausamen Tat in der Lage
wäre. Er hat es doch auch gar nicht nötig. Die Frauen stehen Schlange bei ihm.
Jedes Mal berührt es ihr Herz, wenn sie sieht, wie liebevoll ihr Cousin sich um
seine Ziehtochter und somit ihre Großnichte Mary kümmert.
Das die Krone seit Ewigkeiten in ihrer Familie ist, liegt nicht alleine
an dem Geburtsrecht, sondern auch an ihrer Einstellung. Anders als ihr Vater
hat sie sich immer gesagt, dass eine gute Königin nur die ist, welche auf die
Wünsche ihrer Untertanen auch Rücksicht nimmt. Stets hat sie sich diesen Satz
als oberstes Gebot gesetzt. Immer hat sie mit sich reden lassen und nie einfach
über den Kopf anderer hinweg entschieden.
1460 n. Chr., England: John
Moundrell schwenkte den teuren Roten in seinem Kristallglas aus Venedig,
während sein Blick auf dem Fürst von Warwick ruhte. Wie ein König ließ sich
sein älterer Bruder Richard feiern. In Pelz und Edelsteinen gekleidet saß er
mit dickem Bauch auf seinem Thron und lachte so laut und schallend, dass ihm
sein fettiger Truthahn wieder aus dem Munde flattern müsste.
Nicht Intelligenz oder Schönheit machen einen Mann reich, sondern Geld
allein und davon besaß Richard Moundrell mehr als genug. Selbst der König von
England bezog bei ihm seine Kredite. Richard war weder clever noch klug,
sondern einzig und allein der Ältere. Er hatte all den Reichtum ihres
gemeinsamen Vaters geerbt, aber anstatt mit John zu teilen, verfrachtete er ihn
in die hinterste Ecke des Ballsaals zu den Soldaten und Waschweibern,
währenddem er sich mit den Herrschaften
und feinen Damen von Hofe vergnügte. Möge er doch an seinem Wein ersticken!
Es war nicht das erste Mal, dass John seinem Bruder von ganzem Herzen den
Tod wünschte, doch scheute er zu sehr das Fegefeuer, um diesem etwas
nachzuhelfen. Richard und er standen schon immer in Konkurrenz. Sei es wer der
bessere Reiter, wer der bessere Kämpfer oder wer der bessere Liebhaber sei. Nur
zwei Jahre trennten sie von einander, aber diese zwei Jahre reichten aus, um
nach dem Tod ihres Vaters alles zu verändern. Während Richard alle Geschäfte
erbte, wurde John von seinem eigenen Bruder aus dem fürstlichen Anwesen
vertrieben. In eine Hütte am Waldrand, ohne jegliche Bedienstete, hatte er ihn
gesteckt. Lediglich zu Festen erbittet er seine Anwesenheit, rein zur Wahrung
des Scheins. Aber selbst dann hatte er nichts besseres im Sinn als sich über
seine ärmliche Kleidung vor versammeltem Gefolge zu amüsieren. Er hielt sich
keinen Hofnarr, sondern benutzte lieber seinen eigenen Bruder dafür.
Mit den Jahren zog Verbitterung in Johns Gesicht und hinterließ tiefe
Falten. Bis sein Bruder endlich sterben würde, wäre er selbst alt und grau, zu
schwach um über den Besitz der Familie zu regieren. Vorausgesetzt, dass Richard
überhaupt etwas davon übrig ließ. Er schmiss mit dem Geld um sich wie Bauern
mit Körnern für die Hühner.
Ein fauliger Geruch schlug ihm entgegen. Fisch und gegorene Milch.
„Verzeiht Mylord, was betrübt Euch so? Erfreut Euch nicht das Fest Eures
geliebten Bruders?“
Neben John hatte sich ein Mann von unbestimmtem Alter niedergelassen.
Sein Haar hing in fettigen, zotteligen Strähnen in sein mit einem Vollbart
besetztes Gesicht. Seine Augen lagen tief in ihren Höhlen, aber deuteten auf
einen wachen Verstand.
„Es ist das Alter, das mich grämt. Nichts ist von Dauer in unserem zu kurzen
Leben.“, entgegnete er wahrheitsgemäß. Groll schwang deutlich in seiner Stimme
mit.
Der Halunke schnalzte mit der Zunge und beugte sich näher an Johns Ohr.
Sein Atem ließ ihm den Magen umdrehen, trotzdem lauschte er seinen gewisperten
Worten: „Was wäre wenn Zeit bedeutungslos wäre? Was wenn ihr ewig jung bleiben
könntet, Mylord? Wenn Jahrzehnte, nein sogar Jahrhunderte, nur einen
Wimpernschlag für Euch wären?“
„Das wäre schwarze Magie.
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