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Schneeschwestern - Wittekindt, M: Schneeschwestern

Schneeschwestern - Wittekindt, M: Schneeschwestern

Titel: Schneeschwestern - Wittekindt, M: Schneeschwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Wittekindt
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Sie liegt da wie ein Fossil.
    »Man hat ihr wohl den Schädel eingeschlagen, was meinst du? Ist wohl so, oder? Ach ja! Da rechts neben ihr liegt noch was. Hat Grenier entdeckt.« Er erklärt es dem Mann mit dem Gebläse noch mal. »Da! Da, wo das Fähnchen steckt.«
    »Roland, sag ihm bitte, dass er die Klappe halten soll.«
    Das Gebläse arbeitet weiter, legt einen Teil des Bodens rund um die Leiche frei. Ohayon zeigt noch mal auf das Fähnchen. Er macht das absichtlich, freut sich, als der Mann ihn wieder böse anblickt. Endlich richtet der Mann sein Gebläse auf das Fähnchen. Ohayon nickt. Zufrieden. Etwas Metallisches kommt zum Vorschein. Der Mann mit dem Gebläse legt den Gegenstand frei, Ohayon bezeichnet ihn korrekt. »Ein Säbel! Das ist ein Säbel!«
    Der Mann sieht Ohayon an. Sein Blick ist grimmig. Schlägereien beginnen mit solchen Blicken. Ohayon bekommt nichts davon mit, er zieht erste Schlussfolgerungen. »Kein Blut, oder siehst du Blut? Der kam wohl nicht mehr zum Einsatz. Was meinst du, Roland? Der Säbel hat sie nicht auf dem Gewissen. Oder? Was glaubst du, wie alt sie ist? Fünfzehn?Sechzehn, oder …?« Ohayon unterbricht sich. »Du, Roland! Weißt du, wer das ist?«
    »Geneviève Mortier.«
    »Hast sie auch gleich erkannt. Das ist die! Bestimmt! Das ist die Enkelin von dem alten Fischhändler. René Mortier. Die so schöne Bilder malt.«
    Roland Colbert sieht die Bilder schon seit einiger Zeit vor sich. Jeder in Fleurville, der Fisch isst, kennt die Bilder.
    »Die ist das, Roland, bestimmt! Die Bilder in seinem Verkaufsraum, die sind alle von ihr. Der wird viel weinen. Das wird ganz schlimm für den.«
    Ohayon macht eine kleine Pause. Dann sagt er etwas, das Roland Colbert im Gedächtnis bleibt: »Manchmal verstehen sich die Jungen ja besser mit den ganz Alten, und die beiden konnten wohl gut miteinander.«
    Dann sagt Ohayon etwas, das Roland Colbert nicht im Gedächtnis bleibt: »Ich hol da immer meinen Karpfen. Oder auch mal Forelle oder Zander.«
    »Hat Grenier gesagt, seit wann die hier liegt?«
    »Seit ungefähr dreieinhalb Stunden. Also so gegen drei Uhr ist das wohl passiert. Da hat es nämlich angefangen zu schneien. Hat Grenier jedenfalls gesagt.«
    »Woher weiß sie das?«
    »Sie war mit dem Hund draußen. Hat wohl was mit der Blase. Oder schlimmer.«
    »Der Hund.«
    »Ja. Knickt manchmal hinten weg und kackt unkontrolliert. Die Kleine liegt jedenfalls auf einer ganz dünnen Schicht Schnee, sagt Grenier. Und sie liegt ja immer ganz gut mit ihrer Einschätzung. Ach ja! Sie sagt, wir sollen nicht so viel im Schnee rumtrampeln, und nur in unseren eigenen Spuren gehen. Weil niemand weiß, was unter …«
    »Es ist gut, Ohayon.«
    Roland Colbert sieht sich das tote Mädchen noch einmal an. Kurz. Man kann nicht ununterbrochen auf eine Leiche blicken. Es bringt auch nichts. Es bringt mehr, immer mal kurz hinzusehen. Ohayon erklärt etwas, aber Roland Colberthört nicht zu. Es passiert nämlich gerade etwas mit ihm. Ein Impuls des Körpers. Nein, nicht des Körpers, es hat absolut nichts mit dem Körper zu tun. Das Gefühl verstärkt sich. Jetzt ist es körperlich, aber es hat als etwas anderes begonnen. Als eine Welle von Mitleid.
    Das passiert ihm nicht zum ersten Mal. Ohayon war das schon vor Jahren aufgefallen. Damals standen sie vor einem Bett, in dem eine Lehrerin lag, der man den Hals durchgeschnitten hatte. Natürlich hatte Ohayon den Kommissar sofort gefragt, was los ist, und der hatte es ihm gesagt: Sie tut mir leid. Ohayon hatte nichts dazu gesagt. Das war fair, denn etwas Unprofessionelleres als einen Kommissar, der beim Anblick eines Mordopfers von solchen Regungen erfasst wird, kann man sich kaum vorstellen.
    Und natürlich weint er auch nicht! Er steht nur ganz leicht vornübergebeugt da. Ohayon geht also hin, legt seinen Arm um den Kommissar. Eine Weile stehen sie so. Wie ein altes Paar am Grab, und der Mann von der Spurensicherung guckt sich das mit ernstem Gesicht an. Er schaltet sogar das Gebläse ab.
    Schließlich strafft sich der Kommissar. »Du kannst mich loslassen.« Er blickt weg von ihr, die schon wieder unter dem Schnee verschwindet mit ihren offenen Augen. »Sonst noch was, was ich wissen müsste?«
    Ohayon berichtet, und nun schwingt Begeisterung mit: »Grenier hat vorhin den Himmel angebrüllt, ja? Und ihm gesagt, dass er mit dem Schnee aufhören soll. Sah irre aus, wie sie da stand mit ihren Fäusten. Und soll ich dir was sagen? Einen Moment lang hab ich wirklich

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