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Schneeschwestern - Wittekindt, M: Schneeschwestern

Schneeschwestern - Wittekindt, M: Schneeschwestern

Titel: Schneeschwestern - Wittekindt, M: Schneeschwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Wittekindt
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Gesicht fallen. Sie hat gewonnen. Gegen den Schnee. Nach einer Weile macht sie sich auf den Weg. Zurück zum Fundort der Leiche. Sie hat es nicht mehr so eilig. Das Wichtigste steht in Zahlen auf ihrem Block. Marie Grenier verschwindet im Wald. Der Parkplatz ist jetzt eine gleichmäßig weiße Fläche.

    Braun. Roland Colbert geht ein paar Meter durch einen schmalen Flur aus braun angemalten Balken. Das ganze Haus scheint aus Balken zu bestehen. Wie eine Blockhütte mit einem hohen, spitzen Dach. Russisch.
    Er betritt einen Raum, der fast die gesamte Fläche des Hauses einnimmt. Fenster nach beiden Seiten. Vor allem, was nicht Fenster ist, stehen Regale mit Büchern. Am Kopfende ein Kamin. Der Raum ist warm. Neben dem Kamin sitzt sie.
    »Guten Abend, Madame Darlan. Sollen wir Französisch sprechen oder …?«
    »Deutsch. Mein Mann war Deutscher. Und ich spreche auch lieber Deutsch.«
    Sie bietet ihm den anderen Platz vor dem Kamin an. Roland Colbert setzt sich nicht. »Sie waren mit einem Deutschen verheiratet, heißen aber Darlan.«
    »Ich habe den Namen meines Mannes abgelegt.«
    Roland Colbert geht zum vorderen Fenster.
    »Nach seinem Tod. Ich wollte dieses formale Nachbleibsel nicht.«
    Er muss sich bücken. »Nachbleibsel?«
    »Hinterlassenschaft, Gewohnheit, Anhängsel. Wie Sie wollen.«
    Man kann von hier aus durchaus noch etwas erkennen. Ohayon hüpft im Schnee herum und unterhält sich mit Conrey. »Darf ich fragen, Madame, was Sie beruflich machen?«
    »Sie dürfen.«
    »Können wir ernst bleiben?«
    »Das ist die Gefahr bei rhetorischen Fragen. Man neigt zum Übermut.«
    Roland Colbert guckt noch immer aus dem Fenster. »Ich kann mit ihren rhetorischen Spielereien im Moment nicht viel anfangen, Madame.«
    »Dann fragen Sie bitte präzise.«
    Er richtet sich auf, durchquert den Raum, geht zu einem der Fenster auf der gegenüberliegenden Seite, bückt sich wieder, blickt nach draußen. Der Schuppen. Vier Männer mit Schneeschaufeln räumen das Gelände um den Schuppen herum frei. Offenbar wollen sie dort etwas suchen. Roland Colbert schätzt die Entfernung zum Schuppen auf sechzig Meter. »Also: Was machen Sie beruflich?«
    »Ich habe früher Deutsch unterrichtet. In Fleurville.«
    »Aha …«
    Diese Bemerkung gilt nicht Madame, sondern einem interessanten, einem sogar amüsanten Ereignis am Schuppen. Grenier rennt durch den Schnee auf den Schuppen zu und macht dabei Bewegungen wie jemand, der Vögel von einem Feld verscheucht. Und die Männer mit ihren Schneeschaufeln reagieren entsprechend. Eine kleine, stille Choreografie. Von hier aus jedenfalls. Aber Roland Colbert kennt Grenier. Er weiß also, dass es alles andere als still ist beim Schuppen. »Kannten Sie die Tote?«
    »Geneviève Mortier. Sie war ein paar Mal hier, wegen derKaninchen. Ein Mädchen – Kaninchen. Eigentlich ganz naheliegend, finden Sie nicht?«
    »Dass die Kleine siebzig Meter neben Ihrem Haus liegt? Ist das auch naheliegend?«
    Er richtet sich auf. Sieht sie an. Rote Augen. Vielleicht hat sie geweint.
    »War sie hier? Bei Ihnen?«
    »Geneviève?«
    Hart und laut: »War sie hier!«
    »Nein! Sie war nicht hier. Nein! Es ist ein paar Monate her, dass ich sie das letzte Mal gesehen habe. Sie war nicht hier.«
    Roland durchquert erneut das Zimmer. Stellt sich wieder an das vordere Fenster. Blickt wieder hinaus. Sagt nichts.
    »Sie wurde erschlagen, nicht wahr? Ihre Haare sind blutig. Sie hat Bilder gemalt. Da hängt eins. Die Formen sind konventionell, aber die Farben …«
    Roland Colbert hat das Bild längst entdeckt. Längst als eins von Geneviève identifiziert. Jetzt geht er zu dem Bild. Betrachtet es. Man erkennt den See, ein paar Bäume. Das Interesse von Geneviève galt nicht dem See, nicht den Bäumen. Es galt der Darstellung des Nebels über dem See.
    »Schade, nicht wahr?«
    »Was ist schade, Madame?«
    »Vielleicht hatte sie Talent.«
    »Sind Sie so kalt oder ist das eine – Attitüde?«
    Madame schweigt. Roland Colbert dreht sich weg vom Bild, geht ein paar Schritte und setzt sich in den Sessel, der auf der anderen Seite des Kamins steht. Er sieht sie an. Ihre rot geränderten Augen. Wenn sie nicht geweint hat, hat sie vielleicht nicht geschlafen.
    »Wann haben Sie die Tote gefunden?«
    »Ich hab nicht auf die Uhr gesehen. Aber ich habe sofort angerufen.«
    »Ihr Anruf ging um fünf Uhr ein. Es hat so gegen drei angefangen zu schneien. Sie muss schon mit Schnee bedecktgewesen sein. Es war Nacht … Wie haben Sie das Mädchen

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