Schneeschwestern - Wittekindt, M: Schneeschwestern
hatte er gedacht und bei einigen Arbeiten das Datum des Freitags über seine Unterschrift gesetzt. Das Spiel ging weiter, der Zwerg ließ nicht locker.
»Und gestern Abend? Wo waren Sie da?«
»In Saarbrücken.«
»Was haben Sie da gemacht?«
»Ich war im Museum und habe mir eine Ausstellung von Giacometti angesehen. Ich unterrichte Deutsch und Kunst, und wir nehmen gerade die Surrealisten durch.«
»Sie sind Franzose und unterrichten Deutsch?«
»Ja?«
»Warum nicht Französisch?«
»Warum sind Sie nicht Dachdecker geworden?«
Er erschrickt. Eine dumme Bemerkung. Er ist zu locker. Er nimmt die Sache zu leicht. Aber er hat sich geirrt. Der kleine Dicke nimmt die Bemerkung mit dem Dachdecker offenbar mit Humor. Jedenfalls grinst er.
»Ja, vielleicht hätte ich Dachdecker werden sollen. Bei der Polizei, das viele Sitzen …«
»Nein, um Ihre Frage richtig zu beantworten, ich … ich bin in unserem Nachbarort aufgewachsen …«
»In Corte?«
»Grimauds.«
»Ah! Meine Großeltern stammen aus Grimauds. Also meine Großeltern mütterlicherseits.«
»Mütterlicherseits. Verstehe. Na, dann wissen Sie ja, wie das ist, wenn man im Grenzgebiet aufwächst … Ich spreche akzentfrei Deutsch und … habe natürlich studiert.«
»Und wann sind Sie zurückgekommen?«
»Wie?«
»Wann sind sie aus Saarbrücken zurückgekommen?«
»Ach so! Ja. Heute Morgen.« Nichts ergänzen, nicht zu viel reden!
»Warum erst heute Morgen?«
»Ich nahm an, dass die Straßen nicht frei sind, oder glatt. Ich wollte nachts kein Risiko eingehen.«
So lief das hier also. Erst stellte der Chef ein paar unverfängliche Fragen, dann ging er raus, und dann legte der kleine Giftzwerg los. Ihm gefiel diese klassische Aufteilung.
»Kann jemand Ihre Anwesenheit in Saarbrücken bezeugen? Ja, oder?«
»Ich habe im Hotel die Anmeldung unterschrieben, und ich nehme an, man erinnert sich an mich.«
»Wann haben Sie eingecheckt?«
Er durfte nicht zappeln, auch wenn er vor Aufregung und Freude fast durchdrehte. »Ich verstehe jetzt gar nicht, was Sie wollen. Stehe ich unter Verdacht, oder …?«
»Nein. Oder meinen Sie, Sie müssten unter Verdacht stehen?«
»Ich hab um halb acht eingecheckt. Ungefähr. Das Museum schließt um sechs … bevor ich eingecheckt habe, war ich noch essen … ich … warten Sie … ich habe hier … Das ist meine Eintrittskarte. Die vom Museum.«
»Wie gut, dass Sie die aufgehoben haben.«
»Ich bekomme das Geld von der Schule erstattet. Der Besuch der Kunsthalle hängt ja mit meinem Unterricht zusammen.«
»Haben Sie die andere Quittung auch?«
»Was für eine andere Quittung?«
»Die vom Restaurant.«
»Die … nein. Die habe ich nicht.«
»Die können Sie nicht absetzen?«
»Essen kann ich nicht absetzen.«
Die Tür geht auf, der andere kommt zurück. Der kleine Dicke nickt, sieht den anderen an.
»Und? Wie steht’s, Ohayon?«
»Also für mich klingt alles, was Monsieur Agneau sagt, sehr vernünftig.«
»Gut. Ich glaube, dann können Sie gehen.«
Jetzt kommt sein Auftritt. »Ich kann gehen … Natürlich, aber … Ich habe noch etwas auf dem Herzen. Und das können Sie wörtlich nehmen. Ihnen ist ja aufgefallen, dass ich gestern etwas nervös war, als Sie in unserer Schule waren. Ich nehme an, deshalb bin ich hier.«
»Ich hatte den Eindruck, etwas beschäftigt Sie. Ist das so?«
»Ja. Ich muss Ihnen das hier geben. Es geht mir seit Samstag im Kopf rum. Seit ich das mit dem Mädchen in der Zeitung gelesen habe. Und Sie können mir glauben, es fällt mir nicht leicht. Ich hoffe, es ist nichts.«
Pierre Agneau hebt seine Aktentasche auf den Schoß und beginnt zu suchen. Er braucht einen Moment, um sich zu besinnen. Bei der Ernsthaftigkeit der Befragung ist ihm klar geworden, dass er sich strafbar macht, wenn er die Polizei absichtlich in die Irre führt.
»Was wollten Sie uns geben, Monsieur Agneau?«
»Das hier. Einen Aufsatz, den eine meiner Schülerinnenvor zwei Wochen geschrieben hat. Kristina Stühler heißt sie. Soll ich den Aufsatz vorlesen, oder soll ich ihn einfach dalassen? Er ist auf Deutsch.«
»Das mit dem Deutsch ist kein Problem.«
»Ist lange her, dass mir ein Lehrer was vorgelesen hat. Was meinst du, Roland?«
»Lesen Sie.«
Jetzt würden die Bullen ein gutes Stück weiterkommen mit der Aufklärung ihres Falles. Und er hatte es in der Hand gehabt, ob er ihnen den Aufsatz von Kristina geben würde oder nicht. Er kontrollierte das Spiel, daran gab es keinen Zweifel.
»Wir
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