Schneeschwestern - Wittekindt, M: Schneeschwestern
kannte Peter. Zuletzt war er auch noch pünktlich in der Schule gewesen.
Dass die zwei Teile in seinem Kopf so unabhängig voneinander arbeiteten, war jetzt ein Vorteil. Bei der Konstruktion seines Alibis hatte ein Teil ihn selbst vertreten, der andere Teil hatte die Perspektive der Polizei eingenommen. Schizophrenie! Dieses Wort war ihm am Anfang immer im Kopf rumgegeistert. Aber was ist Schizophrenie? Wenn ein Wissenschaftler wie Einstein sich eine Frage stellt, sie teilweise beantwortet, seine eigene Antwort dann in Zweifel zieht … Womit denn? Mit seiner zweiten Stimme! Ist das Schizophrenie? Dann war alles Denken Schizophrenie. Denken ist ohne Dafür und Dawider gar nicht möglich! Sicher, bei manchen Menschen gab es diese Dispute im Kopf vielleicht nicht. Aber das waren auch nicht gerade die Hellsten.
Nicht so doll zappeln! Das mit den zwei unabhängigen Gehirnhälften hatte Vor- und Nachteile. Vor allem weil der Teil, der für Schuld und alles Negative zuständig war, meist die Oberhand behielt. Gegen alle Logik. Ein Reflex auf diesen religiösen Schwachsinn, den sie allen einimpfen! Damals in Saarbrücken hatte er sich ja auch eingeredet, dass er der Mörder von Isabel wäre. Dabei war es Heimann gewesen. Und der hatte echt Schwein, dass er da noch rauskam! Heimann war viel schlauer, als alle dachten. Allein, wie er das mit dem DNA-Test hingekriegt hat! Das soll ihm mal einer nachmachen! Aber so sind die Bullen genau an ihrem scheiß DNA-Test gescheitert, was nur gerecht ist! Weil DNA-Tests total geistlos und unkriminalistisch sind! Aber das alles ist ja jetzt sowieso unwichtig. Das Ganze ist nur noch ein Spaß. Ich jedenfalls habe das Mädchen nicht ermordet! Ihm damit Angst zu machen, ging auf das Konto seiner schlechten Gehirnhälfte. Er war im Wald gewesen, er war ihr gefolgt, aber er hatte sie nicht ermordet. Das war Kristina! Die war nämlich auch oben an der Lichtung gewesen. Die Kommissare werden sich wundern, wenn er ihnen gleich die Lösung ihres Falls präsentiert. Was das angeht, versteht er keinen Spaß. Ein fünfzehnjähriges Mädchen ist erschlagen worden! Er verfolgt zwar Mädchen, geilt sich an dem Gefühl auf, sie in der Hand zu haben. Aber ich bringe sie nicht um! Bei so was ist er ein Bürger wie alle anderen. Bei Heimann damals konnte er nicht aussagen. Dann hätte er sich selbst belastet. Hier ist das anders. Kristina muss bestraft werden. Plötzlich erschrickt er. Was, wenn sie nicht glauben, dass sie es war. Wenn sie das, was ich Ihnen sage, als Spinnerei abtun?
Das kurze Erschrecken hat Folgen. Positive Folgen. Er hat aufgehört, vor Freude zu zappeln. Gerade noch rechtzeitig. Die Tür geht auf. Sie sind da. Das Spiel kann beginnen.
»Monsieur Agneau. Danke, dass Sie gekommen sind. Und entschuldigen Sie bitte unsere Verspätung. Aber Sie sehen ja, wie es auf den Straßen aussieht.«
»Na, jetzt taut es ja wohl. Gott sei Dank.«
»Ja, Gott sei Dank.«
»Für Sie ist das sicher ein Problem.«
»Was für ein Problem, Monsieur Agneau?«
»In der Zeitung stand, dass das Mädchen oben am Feensee ermordet wurde. Und dann der Schnee … Aber ich nehme an, Sie sind auf solche Situationen eingerichtet.«
»Na ja, der Schnee macht uns schon zu schaffen. Ich möchte Ihnen kurz Sergeant Ohayon vorstellen … Obwohl, Sie kennen sich ja schon.«
»Ja, er hat mich gebeten zu kommen. Warum eigentlich?«
»Ich hatte das Gefühl, dass Sie etwas bedrückt, und dachte, vielleicht wollen Sie lieber hier darüber sprechen. Sie wollen doch, oder?«
»Ja, das ist mir lieber so.«
»Bevor wir anfangen, möchte ich Sie darüber informieren, dass Sergeant Ohayon sich Notizen machen wird. Ich hoffe, das stört Sie nicht?«
Pierre Agneau hätte fast wieder angefangen zu zappeln vor Freude. Das ist eine Einschüchterungstaktik.
Alles, was Sie sagen, wird gegen Sie verwendet
. Sie haben ihn im Visier.
»Von mir aus können wir auch ein Tonband laufen lassen.« Er weiß sofort, dass er übertrieben hat. Das darf ihm nicht noch mal passieren.
»Kannten Sie Geneviève Mortier?«
»Sie meinen, weil ich Lehrer bin? Nein, ich kannte sie nicht. Ich unterrichte in Benningstedt, und das ermordete Mädchen ging ja vermutlich hier in Fleurville zur Schule.«
»Sie wohnen immerhin in Fleurville.«
»Ja. Aber ich unterrichte in Deutschland.«
Plötzlich wird die Tür geöffnet. »Roland, kommst du bitte kurz raus?«
»Ist es wichtig?«
»Glaube schon.«
»Entschuldigen Sie mich kurz.«
Der Kommissar
Weitere Kostenlose Bücher