Schneeschwestern - Wittekindt, M: Schneeschwestern
andere Richtung deuten, zu viel Bedeutung gegeben wird. Das passiert vor allem dann, wenn die Ermittlungen feststecken, und wenn dann sehr schnell hintereinander mehrere Hinweise kommen, die in eine neue, hoffnungsvolle Richtung deuten. Er denkt an Sina. Und so, wie er sie in Schutz nehmen würde, gegen vorschnelle Hypothesen, so nimmt er jetzt Kristina in Schutz. Er ist froh, dass Ohayon mit seiner Langsamkeit nicht vom Wahrscheinlichen abgewichen ist, und trifft eine Entscheidung.
»Danke, Ohayon. Conrey und ich fahren zu Heimann und quetschen ihn noch mal aus. Grenier untersucht die Brandstelle, und du fährst nach Saarbrücken. Versuch rauszufinden, ob es eine Verbindung zwischen den Fällen gibt. Resnais ruft weiter bei Silvia Stühler an.«
Grenier ist nicht einverstanden. »Ich fahre gerne noch mal zur Brandstelle, aber erst morgen früh. Es wird schon dunkel.«
»Gut. Jetzt komm schon, Conrey. Ehe noch jemand was einzuwenden hat.«
Zwei Minuten später ist der Raum leer. Alle wissen, was sie zu tun haben.
Bis auf Ohayon.
Ohayon fährt nicht nach Saarbrücken. Ohayon nämlich hat das Gefühl, dass etwas mit der Reihenfolge nicht stimmt.
Nachdem sein Haus abgebrannt war, hatten sie Walter Heimann erst mal in einer Pension untergebracht. Niemand wusste, wohin mit ihm. Heimann selbst wusste es auch nicht.
Die Besitzerin der Pension ist froh, dass jemand von der Polizei kommt.
»Ich wollte schon anrufen. Herr Heimann ist weder zum Frühstück noch zum Mittagessen erschienen und … heute Nacht hat jemand eine Scheibe eingeschmissen. Da vorne können Sie noch sehen … Wir haben das zugeklebt, aber … Wie lange soll der hier noch sein? In der Zeitung stand, dass er sich an kleinen Mädchen vergangen hat. Ist er der Mörder von Geneviève?«
Sie bringt die beiden zu Walter Heimanns Zimmer. Als Conrey und Roland Colbert an der Tür stehen, reagiert Walter Heimann nicht auf ihr Klopfen. Nachdem die Besitzerin der Pension aufgeschlossen hat, finden sie ihn. Er liegt in der Badewanne und ist so kalt wie das Wasser.
Conrey ruft sofort an. »Grenier, du musst herkommen. Wir haben Walter Heimann gefunden, er ist tot. Den Medizinmann brauchen wir auch.«
Ihr Leben ist endlich wieder normal.
Schopenhauer ist vom Tisch und ab März würde sie ihre Abteilung leiten.
»Du darfst in Zukunft entscheiden, womit unsere Schüler gequält werden!« So hatte Monsieur Chevrier sich ausgedrückt. Ein ausgesprochen unverkrampfter Mensch übrigens. Und ein Verlagsleiter mit einer klaren Linie, was die Personalpolitik angeht. Männer wie Monsieur Joiet sind ihm ein Dorn im Auge. Außerdem ist er der Meinung, dass Frauen einfach besser sind. Vor allem, wenn man sie in Ruhe ihre Arbeit machen lässt. Er selbst ist in der Lage, sich weitgehend zurückzunehmen. Abgesehen davon, dass er der Chef des Verlags ist und bleibt.
Nach der guten Neuigkeit war Juliet einkaufen gegangenund hatte ziemlich viel Geld ausgegeben. Der Gipfel dieses Einkaufs war aber nicht das grüne Kleid für 310 Euro, sondern der Besuch eines Teeladens. Es war das erste Mal.
Juliet hatte früher nie viel übrig gehabt für diese Form überfeiner Betulichkeit. Die einzige Sorte, die sie trank, war Beruhigungstee. Aber den brauchte sie jetzt nicht mehr.
Tee also. Und eine Teekanne. Und ein spezielles Teesieb aus naturreinem Ton und neue Teetassen. Vier. Blau. Fein. Dünn und 240 Euro. Ach ja! Und ein kleines Geschenk als Zugabe.
Aber der Tee wäre nicht wertvoll, wenn er nicht mit Erkenntnis gewürzt wäre. Ruhe. Ankommen. Als erstes hatte sie, mit Sinas Hilfe, die Möbel wieder an ihren alten Platz gerückt. Die neue Aufgabe wird sie fordern. Gut, dass sie endlich mit sich im Reinen ist.
Dann hatten Sina und sie es sich auf dem Sofa gemütlich gemacht und sich einen Film über Barcelona angesehen, den Sina aus der Stadtbücherei mitgebracht hatte. Tee haben sie natürlich auch getrunken, aufgebrüht mit enthärtetem Wasser.
Nach dem Film haben sie noch eine Weile über die Reise gesprochen, und dann wollte Sina wissen, was eigentlich los ist. »Neue Klamotten, die ganzen teuren Teesachen …«
Juliet hatte Sina erklärt, was passiert war. »Als ich vor zwölf Jahren da angefangen habe, strotzte ich nur so vor Selbstbewusstsein. Ich habe nicht im Geringsten daran gezweifelt, dass ich meine Abteilung irgendwann leiten würde. Aber dann habe ich das mit der Zeit vergessen und einfach immer weitergearbeitet. Das Angebot kam für mich vollkommen
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