Schneeschwestern - Wittekindt, M: Schneeschwestern
Wagen des Fischhändlers, riecht Angenehmes. Der Fischhändler macht hier abends gute Geschäfte. Viele Berufstätige holen sich bei ihm noch schnell ihr Abendessen, bevor sie nach Hause fahren. Ohayon stellt sich eine Szene im Hafen vor. Ein Kutter kommt an und entlädt Fisch. Möwen kreisen … Ohayon bekommt richtig Appetit. Er steht gerade mal zwei Minuten in der Schlange, als sich Frau Behling aus der Asservatenkammer neben ihn stellt. Der Ausstoß an Adrenalin ist gewaltig. Wegen Frau Behling hat er doch eigentlich schon genug Magenschmerzen gehabt.
»Na, Ohayon? Was hast du mit dem Papierkorb vor?«
»Wie?«
»Willst du da deinen Fisch reintun?«
Ohayon merkt, dass Frau Behling ziemlich aufgekratzt ist. Er fragt sie also, was es denn so Aufregendes gibt, und Frau Behling ist froh, endlich mit jemandem darüber sprechen zu können.
»Mein neues Auto wird morgen geliefert.«
Ohayon fragt höflich, was für ein Auto sie sich denn gekauft hat, und die Augen von Frau Behling leuchten zwar nicht, sehen aber noch schöner aus als sonst.
»Einen Twingo! Speziallackierung. Deshalb musste ich zwei Wochen warten, aber ich dachte: Lieber zwei Wochen warten! Schließlich fährst du den Wagen dann vielleicht fünf Jahre! Ich finde, die Twingos haben immer so schöne Farben!«
Ohayon gibt ihr recht und fragt sich, ob das ein Zufall ist, dass sie ausgerechnet über Twingos und Farben redet.
Sie unterhalten sich noch eine Weile, und Frau Behling klärt Ohayon darüber auf, dass sie einmal gesehen hat, wie der Fischhändler mit einer Eisenstange einen Karpfen getötet hat. Seitdem isst Frau Behling zu Weihnachten Ente. Danach erklärt sie ihm, dass es in jedem Fall gesünder ist, selbst zu kochen, als Sachen aus der Friteuse zu essen und dass sie gerne kocht, und als Ohayon dann an der Reihe ist, bestellt er nichts, worüber sich der Mann, der hinter ihm in der Schlange steht, freut. Der Mann erinnert Ohayon an einen Filmschauspieler, dessen Name ihm aber nicht einfällt. Ohayon verabschiedet sich schließlich von Frau Behling und geht zurück. Er hat fast zehn Minuten mit ihr geredet und merkt, dass er schon wieder so ein komisches Gefühl im Magen hat. Dann betritt er das Gebäude und durchquert den Glaskasten, ohne dass ihm der Gummibaum weiter auffällt. Er stellt den leeren Papierkorb da hin, wo er ihn vor zwanzig Minuten weggenommen hat. Als er ihn abstellt, fällt ihm auf, dass unten auf dem Boden ein Zettel klebt. Erst ärgert er sich, dass der Zettel da hängen geblieben ist, dann aber siehter, dass auf dem Zettel etwas steht. Mit Bleistift … Er bückt sich. Die Schrift ist etwas verwischt und kaum noch zu lesen. Er hält den Papierkorb näher ans Licht und entziffert schließlich, was da steht.
Radiergummis anfordern
… Da der Papierkorb jemandem aus der Verwaltung gehört, kann Ohayon sich die Zusammenhänge ungefähr vorstellen. Er stellt den Papierkorb wieder ab und geht Richtung Treppenhaus. Als er gerade fünf Stufen hochgestiegen ist, bleibt er stehen. Einen ganz kurzen Moment lang ist sich Ohayon sicher, dass ihm eben eingefallen ist, was er Pierre Agneau hatte fragen wollen.
Ohayon setzt also seinen Weg fort. Noch bevor er in seinem Büro ankommt, ist der Gedanke an die bedeutsame Kleinigkeit verschwunden. Ohayon guckt auf die Uhr. Es ist schon ziemlich spät. Er beschließt, Feierabend zu machen, überlegt kurz, ob er noch bei Roland Colbert reingucken soll, tut es aber nicht. Der wird ihn sicher fragen, ob er in Saarbrücken war, und darauf hat er keine Lust.
Conrey ist gegangen, und Resnais musste wieder in die Telefonzentrale. Danach ist Roland Colbert allein in seinem Büro.
Er wartet. Was unsinnig ist. Er könnte genauso gut in seine Pension fahren und dort auf Greniers Anruf warten. Warum bin ich so nervös?
Er braucht nicht lange, um darauf zu kommen. Heimanns Tod könnte die Lösung sein. Das ist alles. Wenn sich herausstellt, dass Heimann ermordet wurde, haben sie wieder einen klaren Fall. Es sei denn, er nimmt an, dass Kristina ihn umgebracht hat. Aber woher sollte die wissen, dass sie Heimann in der Pension untergebracht hatten? Nein, wenn Heimann ermordet worden war, dann war genau das eingetreten, was Ohayon prophezeit hatte. Dann war die Sache mit Kristina vom Tisch. Ein Gedanke, der ihn erleichtert.
Manchmal versteht er einfach nicht, wie Ohayon tickt. Seit fünfzehn Jahren arbeiten sie jetzt zusammen. Sie sind ingewissem Sinne sogar befreundet. Obwohl. Was weiß ich schon
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