Schneeschwestern - Wittekindt, M: Schneeschwestern
überraschend, und das ist eigentlich das Beste daran. Mein Kopf schwirrt richtig vor lauter Ideen. Außerdem verdiene ich auch mehr als vorher.«
»Sind dir denn Geld und Karriere so wichtig?«
Sina brachte immer solche Torpedos ins Ziel, wenn gerade mal alles schön war. Aber heute? Nein, Juliet lässt sich nicht mehr aus der Ruhe bringen. »Es ist eine Anerkennung,Sina. Und es ist etwas, von dem ich seit zwölf Jahren träume.«
»Ich gehe übrigens doch zum Friseur!«
Das saß schon besser. Juliet konnte das Wort Friseur nicht mehr hören. »Warum plötzlich doch?«
»Warum denn nicht?«
Juliet bleibt cool. »Also gut, Sina. Dann ruf ich jetzt an und mache einen Termin aus. Und dabei bleibt es dann.«
»Klar. Aber du kommst mit. Nicht, dass der mich zu was überredet, was ich nicht will!«
Juliet nickt. »Hat dieser Junge eigentlich noch mal was gesagt?«
»Welcher Junge?«
»Na der, wegen dem du Montag so durcheinander warst.«
»Ich weiß jetzt nicht, wen du meinst.«
»Wir haben in der Küche gesessen, und du hast gesagt, dass ein Junge in der Schule was Blödes gesagt hat.«
»Ach, das meinst du! Das war doch nichts Blödes. Das war total süß. Er hat auch nur gesagt, dass ich schöne Haare habe. Ach ja! Ich wollte dir noch was vorlesen. Von Kleist.« Sina holt also das Buch und liest Juliet ihre Lieblingsstelle vor. Den Satz, zu dem ihr Vater nichts gesagt hatte. »Hier. Das hat Kleist über das Bild
Der Mönch am Meer
geschrieben: ›Zu dem Bild gehört, dass man hingegangen sein muss, dass man alles zum Leben vermisst und die Stimme des Lebens dennoch im Rauschen der Flut vernimmt.‹ Was, glaubst du, ist damit gemeint?«
»Sehnsucht. Dass man das am meisten will, was nicht da ist. Was hast du gedacht?«
»Dass man etwas erst machen muss, um herauszufinden, ob man es wirklich will.«
Juliet stellt die Tassen zusammen und verlässt das Wohnzimmer. Blau. Fein. Die Tassen klappern. Ein Nachteil von feinem Geschirr.
Der schmale Blechtresen ist schmutzig, aber das Bier aus der Flasche schmeckt. Passt jedenfalls zur Situation. Roland Colbert wartet. Grenier und der Medizinmann sind seit über einer Stunde in der Pension.
Nach zehn Minuten hatte Grenier kurz durchgegeben, wie es aussah. »Nicht eindeutig. Nicht eindeutig Selbstmord.«
Danach hatte sie Verstärkung angefordert. Die waren auch schnell dagewesen. Seitdem untersucht sie zusammen mit ihrem Team den Tatort. Auch der Gerichtsmediziner war noch mit Heimann beschäftigt, als Roland Colbert runterging. Er hat Conrey zurück zum Kommissariat geschickt. Auf Abruf, falls sich herausstellt, dass Heimann getötet wurde. Nachdem Conrey weg war, hat sich der Kommissar noch mal mit der Wirtin unterhalten. Gefragt, ob gestern Abend oder heute jemand gekommen ist, den sie nicht kennt.
»Ich bin nicht immer an der Rezeption. Wir haben morgen eine Feier, also haben wir im großen Saal eingedeckt und dekoriert.«
Danach ist er gegangen. Und schräg gegenüber der Pension stand eben dieser Kiosk. Roland Colbert hatte sich ein deutsches Bier gekauft. Jetzt steht er hier und wartet. Die Situation, in ihrer Tristesse, ist angemessen. Wenn Heimann ermordet wurde, stimmt nichts mehr.
Und nichts passiert. Kein Anruf von Grenier. Nach einer Weile gibt er auf.
Als Roland Colbert zum Kommissariat zurückkommt, will Conrey wissen, ob der Gerichtsmediziner schon was hat durchblicken lassen.
»Bis jetzt nicht. Grenier ruft an, wenn sie was haben.«
»Hm.«
»Ist Ohayon noch in Saarbrücken? In seinem Büro war er nicht.«
»Nee, der ist noch hier. Vorhin hab ich ihn in der Eingangshallegesehen. Da hat er den Gummibaum gegossen.«
»Ist ja im Moment auch egal. Wir müssen erst mal den Befund abwarten und was Grenier sagt.«
Das Kommissariat von Fleurville wurde 1961 gebaut. Und nicht von Corbusier. Fleurville liegt abgelegen an der deutschen Grenze und hat nur 45 000 Einwohner. Wer hätte da auf die Idee kommen sollen, Corbusier zu beauftragen?
Leider verstand der Architekt, der den Kasten für die Bullen ins Zentrum von Fleurville geklotzt hat, nicht das Geringste von der Philosophie des Meisters. Das Kommissariat ist so etwas wie ein hochkant gestellter Schuhkarton mit gleichmäßigen Fensterreihen. Drei Stockwerke, drei Reihen Fenster. Auf gliedernde Elemente oder anderen Schmuck hatte man verzichtet. »Das hässlichste Gebäude der Stadt!« Da sind sich die Einwohner von Fleurville einig.
Einen kleinen Lichtblick immerhin hat der Architekt den
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