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Schneesterben

Schneesterben

Titel: Schneesterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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öffnete es. Dann drehte sie sich um und musterte den Raum. Jetzt, wo der Schreibtisch aufgeräumt war, sah man die Staubschicht auf der Tischplatte und die Spuren des gestern verschütteten Kaffees. Der Papierkorb war nicht geleert worden, auf dem Teppichboden lagen die Heftklammern, die beim Aktensortieren herausgefallen waren. Der Reinigungsdienst funktionierte tatsächlich nicht, wie er sollte. Sie ging hinüber zum Schreibtisch, ließ die Aktentasche fallen, schaltete den Computer ein und startete ihr Emailprogramm. »Guten Morgen, du Verschönerung des Lebens!« Abgeschickt um 0 Uhr 20. Gunter. Sie seufzte erleichtert auf. Der Abend war wunderbar gewesen, nur daß sie sich trennen mußten nach dem Essen, war nicht in ihrem Sinn gewesen. Er hatte zu arbeiten. Sie auch. Man mußte vernünftig sein.
    Aber waren sie das nicht eigentlich immer?
    Sie stand auf und ging zur Waschnische, um sich die Lippen nachzuziehen. Sie summte vor sich hin, während sie sich im Spiegel betrachtete. So also sieht eine glücklich verliebte Frau aus. Sie lächelte sich zu. Es kam ihr vor, als ob sie das erste Mal in ihrem Leben Gefallen an sich gefunden hätte.
    Der Abend mit Gunter war perfekt gewesen. Erst die Oper – sie war während des Studiums das letzte Mal in der Oper gewesen, damals, zur berühmten Aïda-Inszenierung von Neuenfels. Gestern war es Tosca gewesen, nicht ganz so opulent ausgestattet wie damals, es mußte schließlich gespart werden und die Sängerin der Tosca – ach was, sie verstand nichts von Arien, aber an der Unruhe im Saal war zu spüren gewesen, daß auch andere glaubten, die Sängerin sei der Rolle nicht gewachsen. Wahrscheinlich haben alle zu Hause eine CD mit Maria Callas, dachte Karen und trocknete sich die Hände ab. Verdammt ungerecht.
    Danach hatten sie im Künstlerkeller noch ein Bier getrunken. Und dann… Karen schloß die Tür des Waschkabinetts hinter sich und ging hinüber zum Schreibtisch. Nichts dann.
    Wenigstens ist er nicht arbeitslos, hörte sie ihre Mutter sagen. Und Doktor ist er auch! Und überhaupt – was willst du eigentlich? Du hast doch Glück, Kind! Ein Mann! Und das auch noch auf den letzten Drücker!
    Seufzend setzte sie sich an den Schreibtisch und legte die Füße hoch. Sie hörte den Anrufbeantworter ab. Mindestens sechs Anrufe für Kollegin Buddensiek waren bereits bei ihr gelandet. Das versprach heiter zu werden. Sie hatte noch immer keinen Überblick über die Angelegenheiten der Dame. Ein Anruf von Paul Bremer. Er klang entspannt. Kurz entschlossen wählte sie seine Nummer. Nach ein paar Schrecksekunden legte sie auf. Es war noch geradezu unanständig früh.
    Widerwillig begann sie, die Aktenstapel zu sichten.
    Frau Kollegin Buddensiek schien der Meinung zu sein, daß sich manche Fälle von selbst erledigten – durch Nichtbefassen. Und von ordnungsgemäßer Ablage konnte auch nicht die Rede sein.
    In einer Akte über einen Ladendiebstahl fand sie einen Obduktionsbericht, der unter Garantie da nicht hineingehörte. Sie legte den Bericht zur Seite und versuchte, die Vorgänge ihrer Dringlichkeit nach zu ordnen.
    »Können Sie einspringen?« Die stets gehetzt und ein bißchen beleidigt klingende Stimme von H2O kam von der Tür. Er winkte mit einer Laufmappe.
    »Also wenn Sie’s genau wissen wollen, Herr Kollege …« Er hatte sie schon gestern schlechtgelaunt in eine Debatte über die neue Aufgabenverteilung in der Abteilung verwickeln wollen.
    »Es hat sonst niemand Zeit.« Diesmal klang er fast verzagt. Seufzend fügte sie sich ins Unvermeidliche.
    Als sie zurückkam, lag ein frischer Stapel Papier auf dem Schreibtisch.
    Manfred Wenzels Prognose, die Abteilung würde es fertigbringen, schon bald ganz prima ohne die von der Buddensiek blockierte Stelle auszukommen, schien ihr gewagter denn je. Das war nur mit Überstunden zu schaffen. Aber an die dachte sie nicht. Nicht jetzt.
    Obwohl: Gunter schien es ein heiliges Bedürfnis zu sein, der Frankfurter Staatsanwaltschaft eine ihrer besten Kräfte kampflos zu überlassen. Nach dem Bier hatte er ihr ein Taxi rufen lassen. »So schwer es mir fällt, aber ich weiß ja, wie hart du zu arbeiten hast.« Am liebsten hätte sie protestiert. Aber dann sagte er leise: »Und ich habe morgen eine junge Frau auf dem Tisch.« Für einen Moment scheute sie zurück vor seinen schmalen weißen Fingern und glaubte, den typischen Geruch in der Nase zu haben, den ein Sektionssaal ausströmt. Dann überwog Mitgefühl. Er hatte den schwereren

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