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Schneesterben

Schneesterben

Titel: Schneesterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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Thomas wehrte sich gegen das Gefühl der Dankbarkeit, das ihn plötzlich überschwemmte. Akif sorgte für ihn. Akif wußte, was richtig war. Tu, was Akif dir sagt, empfahl ihm eine innere Stimme. Thomas schüttelte benommen den Kopf.
    »Ist dir nicht gut, Doktor?« fragte Akif sanft.
    Thomas schüttelte wieder den Kopf, drehte sich um und wäre fast aus dem Hof gelaufen, wenn ihn die beiden Männer in Grün nicht barsch zum Bleiben aufgefordert hätten. Ihn jedenfalls hatten sie gesehen. Aber ein Blick zurück zeigte, daß der Mann, den man zusammengeschlagen hatte, noch immer regungslos in der Ecke lag. In einer Pfütze aus Blut, Pisse oder Erbrochenem. Ihm war es plötzlich egal.
    Er bahnte sich einen Weg durch die Versammlung der Männer, die in Grüppchen beieinander standen und rauchten, redeten, gestikulierten. In einer mehr oder weniger freien Ecke, dort, wo kein Strahl der Frühjahrssonne hinfiel, der sich all die bleichen Männergesichter zugewandt hatten, lehnte er sich an die Mauer und schloß die Augen.
    Akif und Roger und Henry und wie sie alle hießen. Männer, die ihre Gunst vergaben wie ein großes Geschenk und straften, wenn man sich nicht als dankbar erwies. Männer, die redeten und Versprechen machten und es verstanden, alles ins rechte Licht zu rücken. Lügner, Schwätzer, Schönredner, allesamt. Sie nahmen in seinem Leben mehr Platz ein, als ihm lieb war.
    Wahrscheinlich hatte alles angefangen mit Hanni, damals, in dieser unvorstellbaren Zeit davor , als es noch Wärme gab und blauen Himmel und Luft. Hanni wußte, wo es langging. Hanni entschied, was sie taten. Und Thomas folgte.
    Er sah sich und Hanni durch die Flußaue streunen, immer am Bach entlang, von dem die Enten plärrend hochschossen, wo sich ein Fischotter vom Ufer ins Wasser stürzte. Sie fuhren Fahrrad, auf dem asphaltierten Weg am Waldrand entlang, und versuchten, mit den Rädern ihrer Bonanzas so viele rote und braune Nacktschnecken wie möglich plattzufahren. Sie sahen zu, wie die Busches das letzte ihrer Schweine abstachen, Hanni hatte leuchtende Augen beim Anblick des schrecklich schreienden Tieres, dessen Blut in einer hohen Fontäne aus dem Hals spritzte. Thomas hatte versucht, ebenfalls cool und gelassen zu bleiben. Aber das Schreien hatte ihn betäubt und der Geruch des Blutes überwältigte ihn. Er hörte Busche schimpfen auf die Kinder von heute, die nichts mehr vertragen können, als er aus der Ohnmacht erwachte.
    Und dann hatte Hanni ihn mitgenommen zu dem Ort, an den er nicht denken konnte, ohne daß sich ihm der Magen umdrehte. Hatte Kerzen angezündet und über eine Mutprobe gesprochen. Und dann sollte Thomas ihm nachsprechen.
    »Ich kann das nicht. Wenn ich das sage, dann… geschieht was.« Vater, dachte Thomas, ich habe ihm mal die Krätze an den Hals gewünscht. Am nächsten Tag hätte er sich fast das Genick gebrochen.
    »Du bist abergläubisch! Mein Gott, der Kleine ist abergläubisch!«
    Er hatte Hannis Spott mehr gefürchtet als alles auf der Welt.
    »Du Baby! Du glaubst wahrscheinlich immer noch, daß die Leute im Fernsehen in echt sterben, oder?« Natürlich nicht. Und Worte und Gedanken können nicht töten. Und Vater war besoffen gewesen. Und die Zeiten waren vorbei, in denen das Wünschen etwas ausrichten konnte.
    Oder?

23
    Klein-Roda
    H eute war ein Tag ohne Hausmeistertätigkeit. Bremer saß am Gartentisch und starrte in den blassen Himmel. Wilhelm unterzog sich wieder irgendwelchen komplizierten Untersuchungen, die ihn hinderten, seine Tagesbefehle zu übermitteln. Und Bremer selbst fiel beim besten Willen keine Aufgabe mehr ein, die er noch nicht erledigt hätte. Fast fehlte ihm etwas.
    Er zählte die Kondensstreifen am Himmel, während er dem Schrei der Gabelweihe lauschte, die über Gottfrieds Hühnerhof kreiste. Als sein Blick zurückging zum Haus, fiel ihm eine Lücke im Dach direkt oberhalb der Regenrinne auf. Das sah nicht gut aus. Bestenfalls gab es die Lücke noch nicht lange. Schlimmstenfalls lief seit dem Tauwetter Regen in die Wände. Voller Unbehagen dachte er an das letzte Hochwasser, das es bis ins Haus geschafft hatte, eine stinkende braune Brühe, mit der sich die Lehmwände vollgesogen hatten. Der Gestank war erst nach Monaten verflogen.
    Bremer ging ins Haus, gefolgt von Nemax, der sein Sehnen kurzfristig unterbrochen zu haben schien.
    »Mach dir keine Illusionen, mein Junge«, sagte er, bückte sich und kraulte dem Tier die Ohren. »Erst mußt du die anderen Kater aus dem Weg

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