Schneesterben
schlagen, bevor du überhaupt eine Chance hast. Dann läßt sie dich ewig warten. Und zum Schluß jagt sie dich ums ganze Dorf herum, um zu kriegen, was sie haben will.«
Nemax gab einen fragenden Ton von sich.
»Und sag’ nicht, ich hätte dich nicht gewarnt.«
Das Tier sprang ihm voraus die Treppe hoch. Als er im Bad die Klappe zum Dachboden hob, rieselte es ihm entgegen – Spinnweben und Asche und feiner brauner Lehm. Wie ein Blitz war der Kater an ihm vorbei und galoppierte in einer Staubwolke den Dachboden entlang.
Der Dachstuhl sah so morsch aus wie damals, bei seinem Einzug. Und wenn er es auch in diesem Jahr nicht schaffte, neue Balken und Sparren einzuziehen, konnte es ungemütlich werden. Bremer seufzte. Er roch feuchte Wände und registrierte losen Putz. Im Eimer, den er beim letzten Regen unter eine Lücke im Dach gestellt hatte, stand eine modrige braune Brühe. Die Bücherkisten unter dem First waren graubraun bepelzt.
Nemax stob an ihm vorbei, Spinnweben im Barthaar. Ein Blick nach oben belehrte ihn, daß nicht einer oder zwei, sondern mindestens zehn Ziegel begannen, sich in rotbraune Brösel aufzulösen. Und den einen der Sparren mußte er wenigstens provisorisch ersetzen – am besten gleich. Bremer rief nach dem Kater, der ihm freudig wieder hinunter folgte. Unten gab es frischere Gerüche.
Mittlerweile dengelte Gottfried die Sense, und Marie hängte Wäsche auf. Der Frühling war nicht mehr aufzuhalten. Bremer setzte sich ins Auto und fuhr zum Baumarkt in Ebersgrund.
Bei »Schindler und Sohn« sah es aus wie am Vatertag.
Nicht eine einzige Frau, aber alle handwerklich mehr oder weniger begabten Männer der näheren Umgebung hatten sich eingefunden. Bremer begrüßte Otto Grün, den Tierarzt von Groß-Roda. Werner Heise von der Feuerwehr. Den alten Knöß. Und ganz hinten, bei den Farben, neben der Tür zum Holzlager, sah er eine vertraute Gestalt die Farbskala für Holzlacke studieren.
»Willst du dein Revier oder bloß den Gartenzaun streichen?«
Kriminalhauptkommissar Gregor Kosinski drehte sich um und guckte verlegen. »Du kennst doch die Ideen, auf die Frauen kommen, wenn es Frühling ist.« Es waren offenbar selten die, auf die Männer kämen. Kosinski stellte eine Dose in den Einkaufskorb zu seinen Füßen, in dem Pinsel lagen, eine Mausefalle, Gartendraht, Wühlmausköder, Rosendünger und Putzmittel aus dem Sonderangebot. Bremer musterte die Sammlung und blickte mit hochgezogenen Augenbrauen hoch. Der Commissario war ein Baumarktjunkie.
Kosinski zuckte mit den Schultern. »Wenn ich schon mal hier bin«, sagte er.
Bremer lehnte sich neben ihn ans Farbenregal. Er fragte nach Kosinskis Frau. Kosinski berichtete von den Erfolgen seiner Tochter und erkundigte sich nach Anne. Bremer erzählte von ihrer letzten Postkarte. Und irgendwann landeten sie bei der Bürgermeisterwahl und beim Kandidaten Moritz.
»Sie haben die vollen Bierkrüge stehenlassen und ihm den Rücken zugekehrt?« Kosinski gab einen Laut von sich, der wie ein Kichern klang.
»Sogar Erwin. So ganz verstehe ich nicht, warum.«
»Ich kann’s dir erklären.« Kosinski stellte sich bequemer hin. »Moritz Marx will nicht nur eine ökologische Mustergemeinde aus Pfaffenheim machen, er will auch den Tunnel in eine Gedenkstätte umwandeln.«
Das hatte Bremer mittlerweile kapiert.
»Den Tunnel von Ebersgrund, wo man Tamara gefunden hat – erinnerst du dich? Während der Nazizeit haben Zwangsarbeiter da drin gearbeitet – sie sollen Steuerteile für die Wunderwaffe des Führers zusammengebaut haben. An sie soll erinnert werden. Ohne Zweifel eine noble Idee.« Kosinski drehte eine Dose Terpentin in den Händen. »Eine gar nicht mal kleine Gruppe im Gemeinderat sieht das ähnlich. Aber die Altvorderen aus Ebersgrund und Altenzell spucken Gift und Galle.«
»Nicht nur die. Der Ortsbeirat von Klein-Roda ebenfalls.«
Erwin schlurfte vorbei und nickte ihnen mürrisch zu.
Er hatte schlechte Laune, mußte also nüchtern sein. In der Gartenabteilung machte er halt. Wahrscheinlich war er auf der Suche nach interessanten neuen Giften und Maulwurfvernichtungsmaschinen.
Kosinski stellte das Terpentin wieder ins Regal und betrachtete mit großer Konzentration eine Dose Entroster. »Das ist natürlich Wasser auf Moritz’ Mühle. Man wolle die Vergangenheit verdrängen, typisch für die stumpfsinnigen Bauern, die immer alles unter den Teppich kehren – na, du kennst die Argumente.«
Bremer folgte Kosinskis Blick. Am Regal mit
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