Schneesterben
mit einem unförmigen Karton wieder hoch. Er schleppte das Paket zu Bremers Gartentisch und ließ es dort fallen. »Sie ist sonst immer da.«
Birdie plusterte sich auf und knurrte wieder. Auch Katzen schienen das Postbotensyndrom zu kennen.
»Krista ist in Ordnung.« Jens sah Bremer auffordernd an.
»Ich möchte dir nicht widersprechen.« Er schielte nach dem Absender des Pakets.
»Schade um ihren Mann.«
Bremer hob den Kopf. »Seit wann hast du Mitleid?« Jens schielte auf seine Schuhspitzen.
Ein warmer Hauch wehte durch den Garten, süß vom Duft der ersten Rosen. Von der Straße her kam das vertraute Geräusch, das ein harter, energisch bewegter Straßenbesen macht. Marianne fegte die Gass’, wie sie es immer tat um diese Zeit – wie gestern. Und vorgestern. Und übermorgen. Obwohl es kaum noch was zu fegen gab, seit sie ihre Milchkühe abgeschafft hatte, die beim Aus und Heimtrieb gelbbraune Fladen auf den Asphalt klatschen ließen. Heute lagen nur noch Hundeköddel und die Zellophanhüllen von Zigarettenschachteln im Rinnstein.
»Sie haben ihn im Knast zusammengeschlagen. Habe ich gehört.« Jens sah noch immer nicht auf, als er die Neuigkeit verkündete.
Bremer dachte an den Arzt mit den melancholischen Augen und spürte ein hilfloses Mitleid. Er konnte sich vorstellen, wie es einem Mann im Gefängnis erging, den man dort wahrscheinlich zu den feinen Leuten zählte.
Er merkte, daß er die Postkarte in seiner Hand gedreht und gewendet und in eine nicht vorgesehene Form gebracht hatte. Und wenn im Knast erst rum war, daß Regler nicht nur im Verdacht stand, einen Mann erschlagen, sondern auch ein kleines Kind getötet zu haben, dann Gnade ihm Gott. Möglich war alles: Der Fall David hatte es zuletzt sogar zu einer Schlagzeile in der BILD gebracht.
»Weiß sie es schon?« Gut möglich, daß Krista noch keine Ahnung hatte. Oft war Jens auf unbegreifliche Weise der erste, der etwas in Erfahrung brachte.
Der Postbote hob die Schultern und ließ sie wieder fallen. Dann drehte er sich grußlos um. Der Kavalierstart des gelben Postbotenautos schlug Birdie in die Flucht.
Kaum war Jens gegangen, rief Wilhelm an. Die gute Nachricht: Er würde nach Hause kommen, weil die Rehabilitationsklinik noch keinen Platz für ihn hatte. Die schlechte: Bis dahin gab es viel zu tun. Die großen und kleinen Angelegenheiten des Dorfes hielten Bremer auf Trab bis in den frühen Abend. Als er nach Hause kam, zog er sich die Fahrradhose über und holte das Rad aus dem Schuppen.
Der Tag war warm gewesen, aus der Flußaue stieg die Feuchtigkeit. Der Luftraum über ihm war angefüllt mit schimpfenden, johlenden und jubelnden Vögeln. Auf der Wiese vor Groß-Roda zerlegte ein Bussard ein Karnickel. Und am Horizont jagten Krähen einen verlegen flatternden Falken. Fast hätte Bremer den verfetteten Köter umgefahren, der sich breitbeinig mitten auf den Feldweg gehockt hatte. Statt dessen grüßte er das auch nicht gerade schlanke Frauchen, das hastig Schippe und Plastiktüte hervorkramte. Immerhin.
Wieder zu Hause, teilte er mit den Katzen eine Portion Lachs und öffnete eine Flasche seines besten Rieslings – Bürgstadter Centgrafenberg. Das erste Glas trank er auf Thomas Regler.
32
Frankfurt
K aren Stark liebte es, am Wochenende oder an Feiertagen zu arbeiten, an denen das große Gebäude der Staatsanwaltschaft wie ausgestorben schien. Draußen war die Luft noch frisch, es sah nach einem schönen Frühsommerwochenende aus. Drinnen war es kühl, und auf den Fluren roch es nach Reinigungsmittel. Im Sonnenlicht, das ihr Büro in eine helle und eine düstere Hälfte teilte, sah man jedes Staubkörnchen auf den Blättern des namenlosen immergrünen Gewächses, das sie, wie so vieles andere, von der Buddensiek übernommen hatte.
Bereitschaftsdienst war selten langweilig, zumal wenn es an dem mangelte, was man Alternativen im Freizeitbereich nennen könnte. Sie ließ den Computer hochfahren. Vielleicht gab es ja wenigstens eine freundliche E-Mail – von wem auch immer. Am meisten Abwechslung herrschte, wenn die kriminellen Elemente der Stadt im Schulterschluß an der Steigerung der Verbrechensrate arbeiteten. Und ansonsten konnte man immer noch einen der Aktenberge auf dem Schreibtisch abarbeiten.
Es blieb ruhig. Sie versuchte, sich in die Sache Rebentisch gegen Unbekannt zu vertiefen. Aber es fiel ihr schwer, sich zu konzentrieren. Seit Gunter sie auf den Fall Martin Brandt gebracht hatte, ging ihr das fast ein
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